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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Straße wirkte friedlich und ruhig in der Dämmerung, während ich langsam zurückging, mich nach allen Seiten umschauend. Was war anders, was war gleich? Die Häuser glichen auch bei näherem Hinsehen sehr denen aus meiner Zeit. Bei vielen Details hatte ich zwar das Gefühl, ich sähe sie zum ersten Mal, aber vielleicht hatte ich bisher nur nicht darauf geachtet. Automatisch warf ich einen Blick hinüber zu Nummer 18, aber der Hauseingang war leer, kein schwarzer Mann weit und breit.
    Ich blieb stehen.
    Unser Haus sah genauso aus wie in meiner eigenen Zeit. Die Fenster im Erdgeschoss und im ersten Stock waren hell erleuchtet, auch in Mums Zimmer unterm Dach brannte Licht. Ich bekam richtig Heimweh, als ich hinaufsah. Von den Dachgauben hingen Eiszapfen herab.
    »Ich wüsste, was ich zu tun hätte.«
    Ja, was würde Charlotte tun? Es wurde gleich dunkel und es war bitterkalt. Wo würde Charlotte hingehen, um nicht zu erfrieren? Nach Hause?
    Ich starrte zu den Fenstern hoch. Vielleicht lebte ja mein Großvater schon. Vielleicht würde er mich sogar erkennen. Er hatte mich schließlich auf seinen Knien reiten lassen, als ich klein war . . . ach, Blödsinn.
    Selbst wenn er schon geboren war, konnte er sich ja wohl schlecht daran erinnern, dass er mich mal auf den Knien schaukeln würde, wenn er ein alter Mann war.
    Die Kälte kroch unter den Regenmantel. Also gut, ich würde jetzt einfach klingeln und um ein Quartier für die Nacht bitten.
    Die Frage war nur, wie ich das anstellen sollte.
    »Hallo, mein Name ist Gwendolyn und ich bin die Enkeltochter von Lord Lucas Montrose, der möglicherweise noch gar nicht geboren ist.«
    Ich konnte wohl nicht annehmen, dass man mir das glauben würde. Wahrscheinlich wäre ich schneller in einer Nervenheilanstalt, als mir lieb war. Und sicher waren das in dieser Zeit trostlose Orte, einmal drin, kam man niemals wieder raus.
    Auf der anderen Seite hatte ich wenig Alternativen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es stockdunkel war, und irgendwo musste ich die Nacht ja verbringen, ohne zu erfrieren. Und ohne von Jack the Ripper entdeckt zu werden. Himmelherrgott! Wann hatte der eigentlich sein Unwesen getrieben? Und wo? Doch hoffentlich nicht hier im gediegenen Mayfair!
    Wenn es mir gelang, mit einem meiner Vorfahren zu sprechen, würde ich ihn vielleicht überzeugen können, dass ich mehr von der Familie und dem Haus wusste, als irgendein normaler Fremder wissen konnte. Wer außer mir könnte zum Beispiel auf Anhieb herunterrasseln, dass das Pferd von Ururuurgroßonkel Hugh
Fat Annie
geheißen hatte? Das war ja wohl das pure Insiderwissen.
    Ein Windstoß ließ mich zusammenfahren. Es war so kalt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn es angefangen hätte zu schneien.
    »Hallo, ich bin Gwendolyn und ich komme aus der Zukunft. Als Beweis zeige ich Ihnen diesen Reißverschluss. Ich wette, der ist noch gar nicht erfunden, stimmt's? Ebenso wenig wie Jumbojets und Fernseher und Kühlschränke . . .«
    Ich konnte es ja wenigstens versuchen. Tief durchatmend ging ich auf die Haustür zu.
    Die Stufen fühlten sich seltsam vertraut und fremd zugleich an. Automatisch tastete ich nach dem Klingelknopf. Aber es gab keinen. Elektrische Klingeln waren offenbar auch noch nicht erfunden. Leider gab mir das aber auch keinen Hinweis auf die genaue Jahreszahl. Ich wusste noch nicht einmal, wann sie das mit dem elektrischen Strom überhaupt erfunden hatten. Vor oder nach den Dampfschiffen? Hatten wir das in der Schule gelernt? Wenn ja, konnte ich mich leider nicht daran erinnern.
    Ich fand einen Knauf, der an einer Kette hing, ähnlich der altmodischen Klospülung bei Leslie zu Hause. Ich zog kräftig daran und hörte hinter der Tür eine Glocke schellen.
    Oh mein Gott.
    Wahrscheinlich würde jemand vom Hauspersonal öffnen. Was konnte ich sagen, damit er mich zu einem Familienmitglied vorließ? Vielleicht lebte Ururuururgroßonkel Hugh noch? Oder schon. Oder überhaupt. Ich würde einfach nach ihm fragen. Oder nach Fat Annie.
    Schritte näherten sich und ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. Aber ich sah nicht mehr, wer mir die Tür öffnete, denn abermals riss es mich von den Füßen, schleuderte mich einmal durch Zeit und Raum und spuckte mich wieder aus.
    Ich fand mich auf der Fußmatte vor unserer Haustür wieder, sprang auf und sah mich um. Alles sah aus wie vorhin, als ich losgegangen war, Tante Maddys Zitronenbonbons zu kaufen. Die Häuser, die parkenden Autos, sogar der Regen.
    Der schwarze Mann

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