Rueckkehr nach River's End
Tanners Zellentür zu öffnen begann, war er zu einem weiteren Mord bereit gewesen.
Die Einbrüche und der Angriff auf Mike gingen auch auf Melbournes Konto. Dadurch wollte er versuchen, die Fertigstellung des Buches zu verhindern, dachte Noah, während er sich mit bedächtigen Schritten durch den nassen Wald bewegte. Wie oft hatte er in den zwanzig langen Jahren befürchten müssen, doch noch entlarvt zu werden?
Also hatte er es noch einmal so eingerichtet, daß alle Hinweise auf Sam deuteten, wollte seine Taten erneut einem Unschuldigen unterschieben.
Und diesmal hatte er es auf Olivia abgesehen. Aus Angst, daß sie ihn in jener Nacht gesehen haben könnte, sich an ein noch so kleines Detail erinnern würde, das sich all die Jahre in ihrer Erinnerung verborgen hatte. Ein Bruchstück, das zu der Geschichte paßte, die Sam erzählen wollte.
Und gemäß den kaltblütigen Gedankengängen eines Mannes, der die Schwester seiner Frau töten und dann eine Generation lang einträchtig mit ihrer Familie leben konnte, steckte tatsächlich eine grausame Logik dahinter.
Bis er, Noah ins Spiel gekommen war, und mit ihm die Aussicht auf das Buch, eine erneute, gründliche Untersuchung des Falles, die Interviews mit Olivia, in denen sie sich auf die Erinnerungen an die Nacht konzentrieren musste , die ihre Familie bisher glücklicherweise zusammen mit Julie begraben hatte.
Solange sie Angst hatte, konnte sie nicht sprechen, nicht nachdenken, sich nicht erinnern.
Oder wenn sie tot war, konnte sie auch nicht mehr sprechen. Dann hörte Noah, wie sie seinen Namen rief.
Vierunddreißigstes Kapitel
D a s Monster war zurückgekehrt. Der Geruch von Blut klebte an ihm. Seine Schritte lösten Panik in ihr aus.
Sie musste rennen, doch dieses Mal lief sie ihm entgegen.
Der dichte, dunkle Wald, der ihr früher als Zufluchtsort gedient hatte, der ihr immer noch ein Gefühl der Geborgenheit vermittelt hatte, umgab sie wie in einem Alptraum. Die hohen, majestätischen Bäume erschienen ihr plötzlich nicht mehr wie ein Beweis für die Allmacht der Natur, sie wurden zu einem lebendigen Käfig, der für sie zur Falle werden konnte und dem Monster als Versteck diente. Der leuchtend grüne Moosteppich saugte sich als brodelnder Morast an ihren Stiefeln fest. Sie hastete durch Farnkraut, zerriss die grünen Fächer zu glitschigen Fetzen, glitt auf einem verrotteten Baumstamm aus, zerstörte die unzähligen Mikrokosmen, die er beherbergte.
Vor ihr, neben ihr, hinter ihr tauchten grüne Schatten auf, schienen ihren Namen zu flüstern.
Livvy, mein Liebling. Ich will dir eine Geschichte erzählen.
Ihr Atem ging stoßweise, sie spürte Trauer, Furcht und Verlust in sich aufkeimen. Das Blut an ihren Fingerspitzen war inzwischen eiskalt.
Der Regen trommelte unablässig auf die windgepeitschten Baumkronen und lief in Rinnsalen über die flechtenbedeckte Baumrinde bis auf den Boden, der ihn durstig aufsaugte. Die ganze Welt schien feucht und unersättlich.
Sie wusste nicht mehr, ob sie Jägerin oder Gejagte war, aber ein tiefer, ursprünglicher Instinkt sagte ihr, daß sie in Bewegung bleiben musste , wenn sie überleben wollte.
Sie würde ihn finden, oder er würde sie finden. Und dann wäre es vorbei. Sie wollte nicht als Feigling sterben.
Und wenn es auf dieser Welt einen Schimmer von Hoffnung gab, würde sie den Mann finden, den sie liebte. Lebendig.
Sie spürte sein Blut auf ihrer Handfläche, strich zuversichtlich darüber.
Nebel wehte um ihre Stiefel, brach sich an ihren langen, entschlossenen Schritten. Ihr Herz pochte in einem wilden, pulsierenden Rhythmus gegen ihre Rippen, ihre Schläfen, ihre Fingerspitzen.
Über sich hörte sie ein Donnern, ein gewaltiges Krachen, und sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite, ehe ein morscher alter Ast auf dem Waldboden zerbarst.
Ein kleiner Tod, der neues Leben brachte.
Sie schloss ihre Hand fester um ihre einzige Waffe und wusste , daß sie töten würde, um zu überleben.
Und in dem dunkelgrünen Licht, hinter tiefen Schatten versteckt, sah sie das Monster, das sie aus ihren Alpträumen kannte.
Blutbeschmiert stand es da und sah sie an.
Bittere Wut beherrschte ihr Denken. »Wo ist Noah? Was hast du ihm angetan?«
Er lag auf den Knien, eine Hand an die Seite gepresst , aus der das Blut heraussickerte. Der Schmerz war so beißend scharf, daß er bis in seine Knochen und in seine Eingeweide drang.
»Livvy.« Er flüsterte ihren Namen, Gebet und Bitte zugleich. »Lauf.«
»Ich bin mein
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