Ruf der Dämmerung (German Edition)
auf Irritationen. Ein solcher Teint war meist mit rotem oder blondem Haar und blauen Augen gekoppelt, aber Violas dichtes, glattes Haar war kastanienfarben und ihre Augen waren dunkelgrün. Mit hellbraunen Lichtern darin, wenn sie sich aufregte oder angespannt war wie jetzt. Viola zupfte an ihrem hellgrünen Pulli herum und überprüfte den Sitz ihrer engen Jeans. In dem stressigen, letzten halben Jahr hatte sie etwas abgenommen, aber sie fand, das stand ihr gut. Sie stellte sich Dads Lächeln bei ihrem Anblick vor. Er war immer stolz auf sie gewesen und hatte sie seine »Prinzessin« genannt. Ob er diesen Namen nun für das neue Kind verwenden würde, falls es eine Tochter war? Violas gute Laune trübte sich – und näherte sich gefährlich dem Nullpunkt, als sie den Wagen mit ihren Koffern endlich in die Ankunftshalle schob, sich da aber vergeblich nach Dads von rotbraunem Wuschelhaar umrahmten Gesicht umsah. Er schien sich verspätet zu haben – oder hatte er die Ankunftszeit verwechselt? In Irland war es eine Stunde früher als in Braunschweig – und dann war da ja auch noch die Sache mit a.m. und p.m. Ob Dad sie vielleicht erst am Abend erwartete? Aber er sollte sich mit der Zeit in seiner Heimat eigentlich auskennen!
Unschlüssig sah sie sich um. Sie hatte eine Telefonnummer, aber Dad hatte gesagt, er sei tagsüber schwer zu erreichen, da meistens draußen, irgendwo auf dem Campingplatz. Heute traf das sicher zu, in Dublin herrschte strahlender Sonnenschein. Nichts von dem irischen Regen, vor dem ihre Freundin Katja sie gewarnt hatte. Katja war im letzten Jahr mit ihren Eltern in Irland gewesen und angeblich hatte es pausenlos geschüttet. Aber vielleicht wollte sie Viola das Land auch nur miesmachen. Die Freundinnen steckten von Kindheit an zusammen und konnten sich kaum vorstellen, sechs Monate lang getrennt zu sein.
Verdammt, warum hatte sie sich bloß Dads Handynummer nicht geben lassen!
Während Viola noch unglücklich in die Gegend starrte, kam ein junger Mann auf sie zu. Er war blond und schlaksig, der Typ, der nur aus Armen und Beinen zu bestehen schien, und er trug ein mit rotem Filzstift beschriftetes Schild gut sichtbar vor sich.
Verwundert las Viola ihren Namen: Viola McNamara. Und jetzt hatte der Junge sie auch erreicht.
»Sorry, aber bist du das vielleicht?« Der Typ sprach sie an und zeigte auf das Schild.
Viola nickte verwirrt. »Aber … mein Dad … Eigentlich warte ich auf meinen Vater.« Sie musste die englischen Worte fast suchen und schämte sich für ihre Unsicherheit.
Der Junge grinste. »Dein Dad konnte nicht kommen. Irgendwas mit seiner Lady … Jedenfalls hat er mich geschickt, dich abzuholen. Ich bin Patrick, ich arbeite auf dem Campingplatz. Soll ich das Ding nehmen?« Er wies auf den Kofferwagen, der wirklich nicht leicht zu lavieren war. Wahrscheinlich hatte Viola ihn auch nicht gerade genial bepackt. Sie war ebenso unpraktisch wie ihr Dad.
Viola nickte wieder und überließ Patrick das Gefährt. Immer noch sprachlos, folgte sie ihm aus dem Flughafen zum Parkplatz, wo er einen Kleinbus mit der Aufschrift Lough Dan Camping ansteuerte.
»Reichlich Platz für dein Zeug«, grinste Patrick. »Mann, nach dem, was du mitschleppst, möchte man meinen, du würdest ein halbes Jahr bleiben …«
»Will ich ja auch …« Der Wechsel ins Englische wurde langsam wieder selbstverständlicher. Nachdem sie Patrick kurz erklärt hatte, dass sie während des Aufenthalts ihrer Mutter in Amerika in Irland bleiben würde, hatte sie sich ganz auf die Sprache eingestellt.
»Und du?«, fragte sie schließlich. »Bist du aus Roundwood?«
Patrick schüttelte den Kopf. »Ja und nein. Ich bin zwar da geboren, aber vor ein paar Jahren nach Dublin gezogen. Da studiere ich jetzt – Musik- und Literaturwissenschaft.«
»Und das in Roundwood ist ein Ferienjob?«, erkundigte sich Viola.
Patrick nickte. »Auch wieder ja und nein«, lachte er. »In Roundwood laufen Sommerkurse in ›Gaelic Studies‹ – altirische Sprache und Musik. Zwei Lehrerinnen aus der Highschool da haben echt was drauf. Wirst du auch mitkriegen, das durchzieht bei denen den ganzen Unterricht. Na ja, und da ich nicht von Luft und Liebe leben kann und diese Kurse auch was kosten, hab ich mir den Job gesucht. Ich bleibe noch einen Monat in Wicklow, bis die Uni wieder anfängt. Und dann reicht’s mir auch mit frischer Luft und Landschaft pur! Lough Dan ist schön, wird dir gefallen. Aber es gibt noch nicht mal Füchse, weil sich
Weitere Kostenlose Bücher