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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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über die Wittwe, sie fühlte einen langen Kuß auf ihre Stirn gedrückt: »Das ist der Bruderkuß, der Schwester gegeben. Die Sterne wollen es so. Edler Todter, Deine Seele blickt auf uns, aber ich sehe Dich ruhig lächeln, denn Du weißt, daß ich Deine heiligen Pflichten gegen Dein Weib erfüllen werde. Durch diesen Kuß besiegle ich mein Gelöbniß.«
    Sie war vorhin überrascht worden, jetzt, als seine Lippen sich ihr näherten, stieß sie ihn zurück. Sie wollte sich auf die Leiche werfen, aber mit eben solcher Entschlossenheit riß er sie am Arme zurück: »Unglückselige! Wissen Sie, was Sie thun? Er ist an der Cholera gestorben. Sein Hauch ist Pest. Er muß noch heut unter die Erde.« Er stand gebieterisch zwischen ihr und der Leiche. Ehe sie Zeit zu antworten hatte, führte er sie schon, halb zwang er sie an den Schreibsekretär: »Schnell, keine Minute verloren! Ihre wichtigsten Papiere, Kleinodien, was Sie an Geldeswerth fassen können – in einen Kasten, was es ist. Ich besorge mit Ihrem Kammermädchen die nöthigsten Kleider. Der Wagen rollt vor –« »Was ist's, mein Herr!« – »Sie wissen nicht! In einer Viertelstunde spätestens müssen wir fort. Auf der Schöneberger Höhe sieht man schon die Avantgarde. Alles flieht, wer nur Pferde auftreibt. Die Königin beinahe in Lebensgefahr. Sie wird jetzt schon aus dem Thore sein. Gestreckter Galopp. Die Franzosen werden plündern, vielleicht die Stadt in Brand stecken. Napoleons Wuth ist unaussprechlich. Nur keine Frauen zurückgelassen, ruft es durch alle Straßen. Sie mißhandeln – Ihre Brutalität ist ohne Grenzen. Unglücklich Weib! Keinen Augenblick verloren!«
    Er hatte den Sekretär aufgerissen. Mechanisch folgte sie seinem Befehl; sie hatte keine Luft, keinen Athem zum Denken, zum Erwägen. Das Rädergerassel draußen, das Stimmengewirr unterstützten, was Wandel sagte. Eine Chatoulle war in lautloser Angst gepackt. »Nur nichts Unnützes!« rief er, als sie ein Pack eröffneter Briefe hineinwerfen wollte. »Wozu sich mit Erinnerungen beschweren! Nur nichts hinter uns.« Die Briefe fielen zerstreut auf die Tischplatte. Sie ließ Alles geschehen in sprachloser Erstarrung. Da nahm er einen: »Ah, Dohlenecks Hand. Selig sind die Todten, aber sie haben nichts zu schwatzen.« Ehe sie es hindern konnte, hatte er den Brief in kleine Stücke zerrissen. Aber sie hatte den Blick gesehen, der auf das Papier schoß, die Freude, die aus seinen Augen blitzte – es war eine ganz eigenthümliche Freude – das Weiße des Auges verzog sich, er kniff die Unterlippe mit den Zähnen ein. Da blitzte etwas in ihr; es war, als ob ein Vorhang riß. Einige Schritte zurückfahrend, maß sie ihn von Kopf bis zu Fuß. Es war ein fürchterliches Licht, das in ihr aufschoß. Ihr Gesicht röthete sich, ein Strahl von einer Freude schoß darüber, während sie unwillkürlich die weißen Zähne zeigte, und die Finger der schönen Hände sich krümmten. »Warum vernichten Sie gerade den Brief?«
    »Weil – weil ich im Interesse dieses heiligen Todten seiner Wittwe Erinnerungen sparen will, die den Seelenfrieden einer treuen Gattin trüben könnten.«
    Der imponirende Ton verfehlte seine Wirkung. Ein krampfhaftes Lachen erheiterte ihre Brust: »Falsch! es ist Alles falsch an Ihnen – jetzt – ich – ahne – Sie sind ein Mensch, dem Niemand trauen durfte – o mein Gott! – und da der todte Mann – Wer schützt mich!«
    Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch jetzt noch Mittel gefunden – wenigstens würde er danach gesucht haben, das Mißtrauen der Wittwe zu beschwichtigen, wenn sein Blick nicht plötzlich durch einen Gegenstand an der Thüre absorbirt worden wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nachdem durch die Diener die Nachricht von dem Tode des Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde, Angehöriger und Theilnehmender sich in das Haus drängte. Eben so natürlich war es, wenn bei der obwaltenden Krisis Einige unangemeldet in das Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauerbesuches war nicht mehr Zeit. Wandel glaubte, als die Thür aufgerissen ward, den rothen Kragen eines obern Polizeibeamten entdeckt zu haben. Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie aus einer geöffneten Schleuse ergossen sich Nachrichten, die ihm nicht alle angenehm waren. Dem »Wissen Sie schon?« der und jener Freundin folgte eine Reihe von Unglücksfällen und eine Todtenliste. Der ist erschossen, der gefangen, der niedergehauen! Rittmeister Dorville schien die

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