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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Spießgesellen, nomadisierende Stämme, die zogen umher und kratzten sich oder lagen auf der Bärenhaut und tranken immer noch eins, wenn sie eins hatten, was aber selten vorkam: Ein gewisser Tacitus hat das später beschrieben auf mehreren hundert Blättern. Grenzen, na ja: alle Tage ’ne andere und alle paar Jahre mal eine vorläufig endgültige. An welche also soll man sich halten? Das beste ist, man hält sich heraus. Denn, sagte der Oberlehrer schnell noch beiseite, unsereinem jedenfalls hat die Gegend nie gehört. Und dann lehnte er sich zurück, denn nun kamen welche von den Nachbartischen; lehnte sich zurück und begann vor sich hin zu trällern, Riesengebirge, deutsches Gebirge, welches ein Lied war: Dieser Rübezahl also.
    |56| Der war aber ein ähnlicher Fall wie dieser Stülpner, Störtebeker, Andreas Hofer, Schatzhauser im grünen Tannenwald, lauter ähnliche Fälle. Vielleicht, daß die Leute sich einen zurechtmachen, wenn keiner da ist, der hilft. Der Stülpner freilich soll gelebt haben und dieser Rübenzähler doch wohl nicht. Dennoch: je mehr einer tot ist, um so besser taugt er zu solcher Figur. Die Leute brauchen immer einen, der hoffen läßt. Und Frank Allan, den Rächer der Enterbten. Und Winnetou nebst Old Shatterhand, die immer im richtigen letzten Moment kamen, den Unschuldigen herauszuhauen aus zwölffacher Übermacht. Wenn einem selber alles schiefgeht, braucht man um so nötiger einen, dem alles gelingt. Wenn nichts sich ändert in der Wirklichkeit, erfindet man sich einen, der kommt und ändert. Und für alle war gesorgt: Hans im Glück für die Gemütlichen, denen irgendwas vom Himmel fallen muß; eine Stillhaltegeschichte für Stillhalter. Für die anderen der Stülpner, der’s nicht hinnimmt, der Störtebeker, der gleiche Teile macht – dieser hier hat mit dem Glückshansel nicht viel im Sinn, der ist ihm zu fade; hingegen einer, der auszieht, die Finsterlinge zu verhauen, der ist schon eher sein Mann …
    »Also«, sagte Peter Loose, sitzend am Hundshübel zu Bermsthal, »also: Hoch die Tassen, und der Stülpner soll leben!«
    Da tat ihm ein jeder Bescheid.
    Aber dann stülpten sie ihre Taschen um und fanden nichts mehr, und Bierjesus fand, es sei auch genug. Peter Loose sah zum Fenster hin, das war nun schwarz und fremd. Bloß ein paar blasse Lichter von den Halden sah er, wenn er lange hinsah, und ein paar Lichter vom Dorf: das schien weitab. Loose sagte: »Du kennst doch hier viele?« – »Schon«, sagte Bierjesus, »aber geborgt wird nicht.« Das war nun ein Mißverständnis. Loose hatte wissen wollen, ob der Alte vielleicht das Mädchen kenne aus der Bahnhofskneipe. Das war aber nichts für lange Erklärungen, er ließ es nun lieber. Er sagte: »Alsdann. Schluß für heute.«
    |57| Er dachte aber noch immer an das Mädchen Ingrid, als sie schon den Hundshübel hinabgingen. Er versuchte die Lichter vom Bahnhof zu finden, glaubte auch, er hätte sie, dann war er aber wieder nicht sicher. Er dachte: Ich werde morgen einfach hingehen.
    Als sie den Rabenberg erreichten, bog Bierjesus zum Dorf ab. Kleinschmidt war zum Umfallen müde, auch Peter Loose ging langsamer. Die Schicht war hart gewesen, sie steckte ihm in den Knochen. Dieser Magaziner, dachte Peter Loose, das ist also die Sorte, die hier wächst. Irgendeinen Stich haben die alle. Und wenn sie nicht beim Kommiß waren, dann sind sie aus ihren Kuhdörfern nie herausgekommen. Das fiel ihm überall auf, wo er hinkam: daß die Leute so seßhaft waren. Was war es nur, das sie hielt? Unter all den Erklärungen, die er wußte, war keine einzige, die ihm gefiel.
    Im Lager war noch Lärm. Mehlhorn und Müller waren nicht da, das Zimmer war dunkel. Es war genauso öde wie am ersten Tag. Loose öffnete seinen Schrank, er spürte gleich, daß etwas nicht in Ordnung war. Dann sah er, daß sein Brot fehlte und das Stück Wurst; nur die Büchse mit der Marmelade stand noch an ihrem Platz. Kleinschmidt sah auch in seinem Spind nach, aber bei ihm fehlte nichts. Allerdings hatte er seit gestern ein Vorhängeschloß davor, so leicht konnte niemand hinein. Er wollte gleich zu Fischer hinüber, Bescheid sagen. Aber im Zimmer des Alten war kein Licht.
    »Laß nur«, sagte Loose. »Ich werd mir den Mehlhorn vorknöpfen!«
    Kleinschmidt sagte: »Aber wie willst du das wissen? Hier kann doch jeder aus und ein gehen, wie er will.«
    Darauf sagte Loose nichts. Er ärgerte sich, weil er wußte, daß Kleinschmidt recht hatte. Man konnte nur in Zukunft

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