Rummelplatz
er hatte einmal schon abgeschlossen, vor viereinhalb Jahren, und lebte genauer seither.
Am Wolfswinkel stieg er aus. Das letzte Stück ging er zu Fuß. Das helle Fenster in seinem Haus sah er schon von weitem.
|49| Fischers Tochter stand am Herd, als er eintrat. Sie stand schmal da und jungenhaft, hatte die störrische Strähne an der Schläfe, und blaß war sie sehr. Sie stand aber ganz in der dauerhaften Art dort, die sie von ihrem Vater hatte. Das Holzfeuer flackerte, es roch nach Fichtenholz und nach geschmorten Pilzen. Da hängte Fischer seine Joppe an den Haken im Flur.
Seine Tochter deckte auch gleich den Tisch. Er sah ihr zu, wie sie das Brot schnitt und die Pfanne vom Herd nahm und eine Flasche Bier brachte für ihn. Das schien so alltäglich, daß er vergaß, wie selten diese Abende waren. Er war immer gleich ganz zu Hause. Die Katze kam aus dem kleinen Erkerzimmer herüber, in dem Fischer seine Steinsammlung aufbewahrte, sie strich um seine Hosenbeine. Er saß an seinem großen Tisch und sah seiner Tochter zu, er dachte, daß doch etwas von ihrer Mutter dasein müsse. Er wußte aber nicht, was. Sie war ganz anders, immer in ihren grobgestrickten Pullovern, von denen die Burschen sagten: Es muß aber doch etwas drunter sein. Wenn sie so hantierte, war es, als ob sie angestrengt über irgend etwas nachdächte. Aber ihr Gesicht konnte sich von einem Ausdruck jäh ins Gegenteil verändern, von Schreck zu Spott, vom Trotz zur Fröhlichkeit. Manchmal hatte ihn das erschreckt. Er hatte auch lange nicht gewußt, wie er sich verhalten sollte: sie war vierzehn gewesen, als er heimkam bei Kriegsende, das war fast erwachsen in solcher Zeit. Dann hatte er bemerkt, daß sie sich in vielem schneller zurechtfand als er, und er hatte begriffen, daß der große Wechsel draußen das Beständige war in ihrem Leben. Sie erlebte diese Zeit anders als er.
Die Pilze waren würzig und mit viel Pfeffer gebraten, wie er sie gern aß. Er holte die grüne Flasche mit dem Klaren aus dem Schrank und nahm sich einen. Er sah auch die Zeitungen der ganzen Woche geordnet auf dem Schrank liegen, die hob seine Tochter immer für ihn auf. Was er sonst nie tat: plötzlich bot er auch ihr einen Schnaps an. Sie nahm ihn ohne Erstaunen.
|50| An diesem Abend saß er lange, rauchte seine Pfeife, die Zeitungen rührte er nicht an. Er sagte ein paar Worte über die Arbeit im Schacht und über die Neuen; seine Tochter erzählte von ihrer Papierfabrik. Sonst saßen sie stumm. Die Uhr tickte laut, die Katze schnurrte. Als Ruth einmal aufstand, um ihm noch eine Flasche Bier zu holen, dachte er, daß er eigentlich eine erwachsene Tochter gehabt hatte von Anfang an. Er dachte, daß sie es anders auch gar nicht angenommen hätte. Daß sie doch manchmal einen Menschen gebraucht hätte, vor dem sie nicht erwachsen sein mußte und verständig, wußte er nicht. Es blieb ein Rest, der nicht aufging.
Es war spät, als er in seine Schlafkammer hinaufging. Licht machte er nicht. Eine Weile lag er noch wach und beobachtete den Mond im Geäst vor dem Fenster. Er hörte sein Herz schlagen, und er dachte, wieviel Zeit ihm wohl noch bliebe. Sein Vater war sechsundfünfzig geworden. Kein Mensch wurde alt in diesem Beruf. Er erschrak nicht, er war nur immer erstaunt, daß dies alles war. Es hätte schon zweimal vorbei sein können, oder öfter, wer weiß das. Dann drehte er sich zur Wand und schlief sofort ein.
Sie waren nach der Schicht zum Hundshübel gegangen: Peter Loose, Christian Kleinschmidt, Bierjesus, der Magaziner. Es war noch hell, sie hatten das ganze Tal unter sich.
»Das da ist FRISCH GLÜCK«, sagte Bierjesus, »das dort das Heimatmuseum, das ist der ›Gambrinus‹ und davor das Salzbrünnel. Da hat der Stülpner draus getrunken, heißt es.«
Er tunkte den Finger in die Bierpfütze und markierte alle Punkte auf dem Tisch, die er draußen anzeigte: Oberdorf, Unterdorf, Rabenberg, Wolfswinkel. Dann malte er die Straße quer, die der Stülpner gekommen sein sollte, an der Saigerhütte vorbei. Denn der Stülpner war mit dem Roten gekommen und dem einäugigen Hertzog, und zu Thum waren achtzig Taler ausgesetzt auf seinen Kopf, aber das störte ihn wenig. |51| Und er war aus Wolkenstein gekommen, wo sie den dürren Schneider aufs Rad geflochten hatten im Siebenjährigen Krieg, aber das war lange her. Er war nach Bermsthal gekommen und hatte Wasser getrunken vom Salzbrünnel, einen Gabelbock hatten sie abgezogen und das Fleisch unter die Leute
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