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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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provozieren, schützt eure Betriebe, geht an die Arbeit …
    Soweit dies. Dennoch brach eine Schlägerei aus, die dauerte fünf Minuten, also da hatten wir hierzulande wahrhaftig Besseres zu bieten. Und einer nach dem andern fuhren die Busse ab mit den Kumpels der Frühschicht, einer nach dem andern passierten die Kabine die Kumpel der Mittelschicht, und immer noch Willi Röttig: Die werden sich ja wohl was gedacht haben, dieser wilde Verein, werden sie gedacht haben, die Herrschaften in Westberlin, diese Wismut, die muß doch aufzuputschen sein, werden sie sich gedacht haben, die muß man bloß bißchen anheizen, dann schlagen die alles kurz und klein … Das war zu hören an allen Bus-Halteplätzen, auf den Schachthöfen und Zechen, in den Reparaturwerkstätten und den Wohnlagern, überall. Es fuhren aber von den einhundertsiebenundsechzig Mann, die beispielsweise auf Schacht 412 zur Mittelschicht einzufahren hatten, einhundertsiebenundsechzig ein. Auf dem Nachbarschacht fuhren von einhundertvierzehn einhundertdrei ein, auf Schacht Roter Stern waren es zweiundneunzig von einhundertdreißig; siebzig von vierundneunzig waren es auf Erster Mai, aber dafür waren auf dem Jugendschacht zweihundertsiebzehn gekommen statt zweihundertelf, sechs hatten gedacht, es würden vielleicht Leute gebraucht, und auf Frisch Glück waren zwei Brigaden gar nicht erst ausgefahren, sicher ist sicher, hatten sie gesagt, und es hatte sie der sowjetische Schachtleiter nicht bewegen können und der Obersteiger nicht, wortreiche Beteuerung nicht und schon gar nicht sanfte Gewalt. Vollzählig ferner war die zweite Schicht der Zeche Stalin erschienen, halbwegs vollzählig der Bautrupp vom Objekt, nur von den Kipperfahrern fehlten etwa dreißig Prozent.
    Dieser Spieß jedenfalls, der kletterte am Bahnhof Bermsthal aus dem Bus, sagte Glück auf zu Heidewitzka, der ihm freilich nicht antwortete, kletterte aus dem Bus mit einem halben Dutzend anderer, die zum Zug mußten – er wird aber |602| wohl das Radieschen haben abholen wollen. Nur: da waren drei sowjetische Panzer aufgefahren vor dem Bahnhofsgebäude, die Kommandanten standen mit dem Oberkörper aus dem Turm, die Kumpel standen auf dem Gehweg, und Spieß sagte: Was soll denn jetzt das. Darauf hatte aber keiner eine Antwort. Sie standen nur alle so da, starrten Löcher in die Luft und bliesen Rauchringe hindurch, wollten nicht weitergehen, obschon sie es eben noch eilig gehabt hatten, zu ihrem Zug zu kommen, so eilig aber hatten sie es nun wiederum doch nicht. Bis der nächste Bus kam. Da stiegen andere aus, sahen die Wartenden, sahen die Panzer, vermuteten einen Zusammenhang, da sich aber nichts tat und alles nur dastand und aussah, war ihnen die Sache eher spaßig: wie wenn einer aus heiterem Himmel in Boxerstellung geht und sich aufgeregt kämpferisch gebärdet, es ist aber keiner da, der ihm was antun will. Da kamen die ersten Rufe: He, Aljoscha, fahr zu Natschalnik und bestell schönen Gruß. Das war lustig auf einmal, und die drei Panzerkommandanten, die nicht reagierten, regelrecht preußisch standen sie da, streng, dienstlich, steif, angestrengt symbolisch, waren nun halbwegs komische Figuren, zogen den Ulk auf sich, waren nun alte Bekannte sozusagen, sonst freundliche Leute, Machorka verschenkend, Fräulein-Witze reißend, und nun so unangemessen ernst, so auf Befehl distanziert, und man wußte schon, das gefiel ihnen selber nicht, aber was sollten sie machen: Dienst ist Dienst und das kennen wir ja und haben’s gottlob hinter uns – also das war wirklich ein Spaß, bißchen Augenzwinkern war auch dabei –, Scheiß-Kommiß und naja die armen Schweine, können wir jetzt zu Muttern fahren, und die müssen hier stehen wie Ast, und auch sonst nix wie nackiche Kaserne und Sodakaffee, und Natascha ist weit, also zu beneiden sind die weiß Gott nicht. Slusch, rief da einer, und: Iwan fährt mit großem Wagen / Wasser holen von weit her / zieht er mit der Deichselstange / dauert wirklich viel zu lange / immer bloß mit dieser Stange / wie er rückkehrt, ist sein |603| Mädchen / ist die Seine längst nicht mehr … – Und was so Lieder sind. Und Aljoscha drüben konnte sich das Grinsen nun doch nicht mehr ganz verkneifen. – Auch auf diese Weise löste sich manches.
    So gingen sie weiter. Und Spieß holte das Radieschen ab, das wartete schon. Es spielte sich hier aber auch reineweg gar nichts ab.
    Auch nicht in der Papierfabrik. Gemeckert wurde, gestreikt wurde nicht, wie es der Herr

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