Ploetzlich Shakespeare
1
Au Mann, ich war ja so etwas von einem Frauenklischee! Im Vergleich zu mir waren sogar die Heldinnen in Hollywoodfilmen richtig originell: Seit Jahren war ich Single, meine biologische Uhr ging mir auf den Wecker, und ich badete im Swimmingpool des Selbstmitleids: Meine große Liebe wollte seine große Liebe heiraten, und bei dieser handelte es sich leider nicht um mich.
«Was hat sie, was ich nicht habe?», greinte ich, während ich aus meinem bemerkenswert unaufgeräumten Küchenregal eine Flasche Ramazzotti herausholte.
«Sie hat Stil, Rosa», antwortete mein schwuler bester Freund Holgi, der im Gegensatz zu den schwulen besten Freunden von Hollywoodheldinnen nicht umwerfend aussah, sondern eher wie ein kleiner Hobbit.
«Es gibt Fragen, auf die man keine Antwort will», seufzte ich und stellte Flasche und Glas auf den Tisch.
«Und sie sieht aus wie ein Topmodel», redete Holgi dennoch weiter. Er glaubte nun mal fest daran, dass Freunde absolut ehrlich miteinander umgehen sollten.
Und dummerweise hatte er recht: Während Olivia eine Figur hatte, die selbst Heidi Klum vor Neid in die Tischkante beißen lassen würde, besaß ich Orangenhaut, zu dicke Waden und sah bei schlechtem Licht aus wie ein Hängebauchpuma.
Wie gesagt, ich war voll das Klischee.
«Und sie hat studiert.»
«Hab ich auch!», protestierte ich.
«Du Grundschullehramt in Wuppertal. Sie Medizin in Harvard.»
«Sei still», antwortete ich und schenkte mir den Ramazzotti ein.
«Sie kommt eben aus der gleichen Schicht wie er, Rosa.»
«Was genau hast du an nicht verstanden? Das oder das ?», fragte ich.
«Und sie ist nicht so schnippisch wie du», grinste er.
«Dir ist schon klar», lächelte ich nun süßsauer, «dass ich hier viele Geräte habe, mit denen man jemandem die Männlichkeit nehmen kann ... die Nudelzange ... die Saftpresse ... den Elektromixer...»
«Und sie hat gute Manieren.»
«Ich habe also schlechte?», fragte ich und nippte schon mal an meinem Ramazzotti.
«Na ja, Rosa, du lachst immer zu laut, rülpst manchmal und drohst, sehr netten, attraktiven Kerlen ihre Männlichkeit zu rauben. Außerdem fluchst du, als wärst du die uneheliche Tochter von Uli Hoeneß und Donald Duck.»
«Den Zeugungsakt zwischen den beiden möchte ich mir lieber nicht vorstellen», antwortete ich.
Leider hatte mein Kumpel auch mit den Manieren recht. Während Jan immer genau wusste, wie man sich in einem noblen Restaurant zu benehmen hatte, war ich schon froh, wenn ich das Fischmesser als solches erkannte und mich bei der Lektüre der Speisekarte nicht blamierte mit Fragen wie .
Ich starrte auf das Foto der Hochzeitseinladung: Jan und Olivia waren ein Bilderbuchpaar, eins, wie Jan und ich es nie hätten sein können. Dabei glaubten wir mal fest daran, dass wir beide füreinander bestimmt waren. Damals, als wir uns kennenlernten, an jenem Tag, an dem ich ihm das Leben rettete. Es war am Strand von Sylt gewesen, ich war Mitte zwanzig und im Campingurlaub mit Holgi, Jan machte Urlaub mit seinen Harvard-Freunden im Ferienhaus seiner Eltern in Kampen. Ja genau, wir stammten nicht nur aus zwei verschiedenen Welten, sondern aus zwei verschiedenen Universen.
Hätte Jan nicht beim Schwimmen einen Krampf bekommen und ich es nicht bemerkt, wären wir uns wohl nie begegnet. Und er wäre ertrunken. So aber schwamm ich die paar Meter zu ihm hin - damals hatte ich noch so etwas Ähnliches wie Kondition -, tauchte unter und zog den fast schon bewusstlosen Jan an die Oberfläche. Rettungsschwimmer kamen mit einem Schnellboot hinzu und hievten uns hinein. Erst auf dem Boden des Bootes öffnete Jan wieder die Augen. Er sah mich mit seinen wunderbaren grünen Augen an und hauchte verzaubert: «Du hast die schönsten Augen, die ich je gesehen habe.»
Und ich hauchte zurück: «Danke gleichfalls.»
Es war Liebe auf den ersten Hauch.
Jans Mutter, die mich nicht ausstehen konnte, bewertete diese erste Begegnung hingegen etwas weniger romantisch: «Seine Liebe zu dir wurde durch Sauerstoffmangel ausgelöst.»
Überhaupt war ich Jans nobler Familie ein Dorn im Auge, erst recht, nachdem sie meine Eltern vorgestellt bekommen hatte. Jan und ich hatten in unserem Liebeswahn gedacht, es sei eine zauberhafte Idee, wenn sich unsere Eltern mal bei einem zwanglosen Essen kennenlernten. Leider entwickelte sich diese Begegnung zu dem übelsten Treffen zweier unterschiedlicher Parteien seit
Weitere Kostenlose Bücher