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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Nun ja, sagte Hermann Fischer. Und daß sie von der Wismut kämen. Und daß sie ferner einen von den Ingenieuren hätten sprechen wollen, den Kollegen Reifschläger meinetwegen oder einen anderen – Gott ja, sagte der alte Mann, der ist noch da, zweite Etage, Zimmer sowieso.
    So ließen sie Titte Klammergass den Wagen bewachen und stiegen aufwärts.
    Reifschläger saß allein im Zeichensaal – die sind alle verrückt geworden, sagte er. Die einen sind rüber ins Werk II, da ist eine Versammlung, die anderen sind einfach so los, weiß ich wohin, aber ein paar sind noch da, und daß ihr eure Geräte aufladen könnt, das machen wir schon. Also ging er irgendwohin und kam zurück mit einer Lieferbescheinigung für den alten Mann im Lager; die müssen ja wieder mal vernünftig werden, sagte er, und ich finde dann schon einen, der das unterschreibt. Noch was? Schon, sagte Hermann Fischer, aber es ist heute wohl nicht die richtige Zeit. Reifschläger meinte: Unsinn, die richtige Zeit ist immer.
    Da hatten sie dann ihre Skizzen ausgepackt, und Reifschläger sah sie sich an, als ob draußen ein gewöhnlicher |606| Junitag wäre, nichts Besonderes weiter; auch das hat es gegeben. Er lag so mit halbem Oberkörper überm Tisch, prüfte, rechnete nach, stellte Fragen, die sie beide beantworteten – Christian dachte: Wenn man sich aussuchen könnte, mit wem man arbeitet, der wäre mein Mann. Überhaupt war die Situation so, daß er sich ganz wohl fühlte. Dieses große, nahezu leere Haus, der Aufruhr draußen und sie hier bei der Arbeit, und hatten einen gefunden, der ihnen wohl ähnlich war; irgendwie war das unwirklich, irgendwie gerade deshalb überzeugend. Kompliment, sagte Reifschläger, nur: das kann ich natürlich nicht allein machen und nicht heute entscheiden, aber es ist ’ne verdammt gute Idee, das wollen wir mal im Auge behalten. Können Sie getrost einen drauf trinken, Kollege Fischer. Und wollte wissen, was der junge Kollege für einer wäre, zweites Studienjahr soso …
    Naja, sagte er dann noch, ich gebe euch Bescheid, aber das wird eine Weile dauern, Gottes Mühlen mahlen langsam. Und was man so sagt. Aber da fiel draußen der erste Schuß, den hörte er mitten in seinem Satz, der schien weitab, aber was sind schon Entfernungen: Das war das Ende von etwas. Weitere Schüsse, vereinzelt und in unregelmäßigen Abständen, dünn, hart, deutlich. Während wir hier so sitzen, dachte Hermann Fischer. Während wir so tun, als ob uns das nichts anginge. Es war aber nun nichts mehr zu hören. Ich weiß nicht, sagte Reifschläger. Christian sah ihm nach, wie er zum Fenster ging, lange hinaussah, ich weiß nicht. Der Schatten des Körpers des Ingenieurs lag breit über dem Weiß des Reißbretts, fließende Konturen, nichts Sicheres. Irgendwo muß aber doch die Partei sein, dachte Hermann Fischer. Irgendwo in dieser Stadt muß es doch welche geben von den Unsrigen. Und wußte um die Verantwortung für den Wagen, für die Fracht, für Christian und den Fahrer – da war aber noch eine andere, und man ist für das Wichtigste immer nicht eingerichtet. Er blätterte schon im Telefonbuch, hatte schon die Nummer, aber er bekam immer nur das Besetztzeichen, und |607| dann dachte er: Sowieso werden sie nicht viel sagen können, noch dazu am Telefon, noch dazu, wo mich hier keiner kennt und wo ich keinen kenne. Zur Bezirksleitung fahren – oder zurück auf schnellstem Wege, das war alles. Dennoch versuchte er es immer wieder. Das habe ich auch schon versucht, sagte Reifschläger vom Fenster her. Aber es meldet sich keiner, und wenn doch, dann wissen sie auch nichts anderes als: Bleib im Betrieb, sorge für Ordnung. Muß wohl jeder selber herausfinden, was da zu machen ist.
    Und das war wohl die Wahrheit.
    Immer noch am Fenster, immer noch den diesigen Himmel vor Augen und die graue Fassade gegenüber, sagte Reifschläger: Und das will nun ein Sommer sein …
    Dann waren sie wieder auf dem Hof. Der Studebaker stand mit der Nase zur Torausfahrt, Titte Klammergass und der alte Mann hatten die Geräte bereits aufgeladen, sie standen vor dem Fahrerhaus, und das Radio näselte, und sie rauchten.
    Eigentlich lange Mittag, Chef, sagte Titte Klammergass. Und Reifschläger sagte: Sonst bringen sie uns immer das Essen vom Werk II rüber, aber es hat sich keiner blicken lassen. Höchstens, wenn ihr sowieso durch die Stadt müßt, daß ihr’s irgendwo in einer Kneipe versucht.
    Aber da war wenig Hoffnung.
    Und Titte Klammergass ließ den

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