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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Zwangsarbeiter. Oder ist es ein Urteil, wenn einer hierher geht, freiwillig? Er kerbte noch ein paar Tage weiter, dann gab er es auf.
    Die neununddreißigste Schicht fuhr er in einer Dezembernacht. Die stand hoch über den Erzgebirgskämmen, ein bleicher Mond goß Kälte in den Schachthof. Christian lehnte am Geländer der Hängebank, er konnte durch ein ausgespartes Viereck im Turm den Himmel sehen. Es war windstill, dennoch zog kalte Luft herein. Wasser tropfte aus dem Gebälk. Christian fröstelte.
    Er hörte den Korb gegen die Schalung schlagen und lehnte sich zurück, das aufziehende Seil kam langsamer. Die Trägertraverse hob sich aus dem Schachtmund. Das Stangengitter rasselte in die Höhe. Acht Männer betraten die Hängebank, feierlich wie eine Prozession. Das Licht war ungewiß. Die ausfahrende Schicht grüßte die Einfahrenden.
    Es war ein vierzigfach erlebter Vorgang, aber er war ihm streng und bedeutsam geblieben wie am ersten Tag. Er nahm sein Geleucht und stieg in den Korb. Das Signal des Anschlägers kam unwirklich laut wie in einer Kirche, stieg nach oben in Gewölbe und Kuppeln, hallte wider und schwang nach im nachlassenden Licht; die den Bergmannsdom erbaut hatten, oben, auf der Anhöhe, mußten darum gewußt haben. Der Boden hob sich, pendelte, sackte weg. Die Hölzer der Verschalung kamen vorbei, zählbare Sprossen einer aufsteigenden Leiter, dann ein Gleichmaß, in dem sich das Fallgefühl aufhob. Fahrt und Fall, eine Verkehrung.
    Christian stand inmitten der anderen. Sie hielten die Lampen niedrig, Mannschaftslampen, zehn Pfund an einem |684| S-Haken aus Eisendraht, nur der Schießmeister hatte eine leichte Handlampe am Riemen über der Brust. Das Licht schnitt Schatten in die Gesichter. Draußen schwammen schwitzende Rohrleitungen aufwärts, Holzverstrebungen, rostiges Eisenblech. Der Korb dröhnte, Wasser schwappte herein. Der Luftstrom war eisig. Sie klapperten bei der Einfahrt mit den Zähnen und sie froren bei der Ausfahrt, aber sie sagten nichts. Sie wußten alle, wie schwer es war, das Wasser abzufangen. Christian hatte schnell begriffen, daß es hier Dinge gab, die man hinzunehmen hatte, wenn man nicht belächelt werden wollte. Es gab Dinge, die einen ausschlossen, wenn man sie hinnahm, und es gab andere, die schlossen einen aus, wenn man sie nicht auf sich nahm als etwas, das dazugehörte. An Peter Loose hatte er gesehen, wie schnell und nahezu selbstverständlich der diese Unterschiede herausfand. An Hermann Fischer und auch an Bergschicker sah er, wie dennoch angegangen wurde gegen das, was unvermeidlich schien. Es mußte dabei, auch das hatte er bemerkt, manchmal sogar mit angegangen werden gegen die rasch angenommenen Gewohnheiten derer, die gerade erst gekommen waren. Es gab immer einen Punkt, der bei aller Anpassung Veränderung verlangte. Es gab immer eine äußerste Grenze. Sie konnte anderntags schon ganz woanders sein.
    Als sie ins Füllort schlingerten, troff das Wasser unter ihnen in den Sumpf. Das Blut dröhnte in den Ohren, die Beine drückten in den Bauch, der Magen in den Hals, der Boden hob sich. Ungleichmäßig schwang das Förderseil. Dann rasselte das Gitter hoch. Sie betraten die Hauptfördersohle.
    Christian ging hinter den anderen in die gut beleuchtete Strecke, ging an langen Reihen randvoller Grubenhunte vorbei, an rangierenden E-Loks und Ketchern. Sechs waren sie, dann fünf, bog links einer ab, bog rechts einer ab, zu dreien gingen sie über den Bremsberg, dann war Christian allein. Das Licht der Hauptförderstrecke blieb zurück. Bis ins vierte |685| Revier waren es zwanzig Minuten Weg. Christian war ihn meist mit Peter Loose gegangen oder mit einem der anderen, aber heute waren sie alle schon vor ihm eingefahren. Er ging gleichmäßig, er kannte sich nun aus. Das Licht seiner Grubenlampe erschien ihm stärker, je weiter er vorankam. Die Strecke war still, nur das Knacken der Rohrleitungen war manchmal zu hören, das Knistern der Türstöcke, splitterndes Holz unterm Gebirgsdruck. Der Berg war still während des Schichtwechsels. Die Grubenloks hielten in den Strecken. Die Bohrhämmer schwiegen. Die Kompressoren liefen gedrosselt.
    Christian bog in den Querschlag ein; es war warm und muffig. Die einziehende Luft staute sich an der Wettertür. Der Boden war trocken und mit Bohlen belegt, das Fahrgleis fehlte. Christian ging langsam, dieses Stück Weg ging er gern. Er war nun genügend herumgekommen. Er kannte schon einige Wege.
    Sonst warteten sie immer am

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