Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
Vom Netzwerk:
hängen.
    Eine Menge neuer Wörter gab es, gute und schlechte. Brack war das schlimmste. Es war Ausschuß und schlechte Arbeit. Es war Unglück und manchmal Sabotage. Es war qualliges Mißtrauen, Untersuchungen, Lohnabzüge, Strafen. Unberechenbar. Manchmal geschah gar nichts.
    Drushwili vorneweg, dann Hermann Fischer. Drushwili, der Reviergeophysiker. Der Hauer von Block Dreizehn und sein Fördermann. Bierjesus der Magaziner. Drushwili war auch zuerst heran: Machorkapünktchen unter der Georgiernase, verblichene Uniformbluse mit geblähten Brusttaschen. » |688| Viermal Brack«, sagte Drushwili, »immer zweite Schicht.«
    Hermann Fischer kam gebückt, er sagte nichts. Er kam heran, sah Christian und den Saigenreiniger, aber es war, als ob er sie nicht wahrnehme. »Ich werde mit Schachtleiter sprechen«, sagte Drushwili düster.
    Das ehemals V. Kapitel

II Szenenskizze und eine frühe Fassung
    Um Werner Bräunigs Arbeitsweise zu verdeutlichen, werden hier die frühe Fassung eines Kapitels und eine später verworfene Szene, die sich im Nachlaß fand, abgedruckt.

1 [Der Präsident]
    Der Präsident stand auf der Tribüne der Linden-Universität, die großen Hände über dem zweiten Mantelknopf verschränkt; unter dem Wollschal sah ein Stück der altmodisch breiten Krawatte mit den weißen Punkten hervor. Er schaute auf die unabsehbare Menschenmenge, die sich in der breiten Straße drängte, von der Museumsinsel bis weit hinab zum Brandenburger Tor. Der Präsident sah in die Gesichter seiner Landsleute, sah den zurückgelegten Weg, sah die Kämpfe, die noch ausstanden.
    Unten trugen sie ein Transparent vorbei, weiß auf rotem Grund: Wir grüßen Wilhelm Pieck, den Präsidenten des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates. Dann sah der Präsident ein Schild mit der Aufschrift ›KPD Bremen‹. Er versuchte das Gesicht des Mannes, der das Schild trug, zu |689| erkennen, aber es war zu weit entfernt. Der Präsident war sehr ernst. Eine halbe Stunde vorher hatte er eine Rede gehalten; es war die erste Präsidentschaftsrede in der Geschichte Deutschlands, die von einem Arbeiter gesprochen wurde. Es war eine kurze Rede; der Präsident hatte nichts zu bieten außer der Wahrheit eines Sieges, der den Kampf nicht beendete.
    Und unten zogen sie Kopf an Kopf, aus dem Oderbruch, den Elbniederungen, von der Wasserkante und den Thüringer Bergen, aus der zerrissenen Hauptstadt des gespaltenen Landes. Die rote Arbeiterfahne wehte; manch einer trug sie, der sich nicht zu ihr bekannte.
    Der Präsident sah sich im Kreis seiner Gefährten um, er sah den Sozialdemokraten Otto Buchwitz neben dem Kommunisten Hermann Matern, sah Otto Grotewohl neben Walter Ulbricht. Sie hatten nach einer Ewigkeit der Spaltung die Einheit der Arbeiterklasse erkämpft. Aber noch gab es die Einheit nur in einem Teil Deutschlands, und auch dort nur in einem Teil der Deutschen.
    Und unten zogen sie, zogen Kopf an Kopf, Sieger und Besiegte, Satte und Hungrige, Aufrechte und Gebeugte, eben noch Herrschende und eben noch Unterdrückte, Kämpfer und Feiglinge, Starke und Schwache, Schuldige, Mitschuldige, Unschuldige. Einer in einer gewesenen Uniform schleppte sich mühsam auf Krücken vorwärts, einer ohne Beine wurde im Handwagen gefahren, daneben einer mit goldgefaßtem Kneifer und steifem Hut, daneben einer mit dem roten Winkel der Opfer des Faschismus, daneben einer der soeben ausgezeichneten ersten Aktivisten, daneben ein ausgezehrter Junge mit einer Zeichnungsrolle, daneben eine Matrone in eine Pelzboa gewickelt, Scharen Arbeiter in abgetragenen Anzügen, viele ohne Mantel, dazwischen Soldaten der Sowjetarmee, drei Kriegsblinde, die sich an den Händen hielten, die Schalmeienkapelle eines Betriebes, ein Trupp soeben heimgekehrter Kriegsgefangener in Holzpantinen, |690| Trümmerfrauen mit unförmigen Handschuhen, Jünglinge mit langflatternden Haaren, Mädchen mit hungrigen Gesichtern, ein Specknackiger im dicken Ulster, ein Musikzug der Freien Deutschen Jugend, Belegschaften ganzer Betriebe; Sprechchöre hallten zur Tribüne herüber, brachen sich in den Ruinen, Fanfarenstöße, knatterndes Fahnentuch im Wind, es war die größte Demonstration, die Deutschland seit Kriegsende gesehen hatte.
    Der Präsident stand auf der Tribüne, er sah hin über den unendlichen Menschenstrom, sah Tausende Gesichter, sah manchmal ein einzelnes. Für einen Augenblick sah er hinüber zu den grauen Mauern, hinauf zum grauen Himmel; über der Museumsinsel flog ein Schwarm

Weitere Kostenlose Bücher