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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Werkzeugmagazin aufeinander, Christian und sein Hauer und einige von den anderen, aber diesmal war niemand da. Auch Bierjesus der Magaziner nicht. Die Bohlentür war verschlossen.
    Er setzte sich auf eine Erzkiste und wartete. Der Magaziner zumindest mußte kommen, auch der Radiometrist, auch der Steiger. Er setzte die Lampe ab; im Magazin hörte er die Schachtratten rascheln. Er konnte die Stille hören, wenn die Ratten weg waren. Er sah die Strecke hinab, hinter dem Ausweichgleis trat alles zurück in Dunkelheit. Wenn man lange hinsah, bewegte sie sich. Farbige Kreise schwammen ineinander, grüne Pünktchen, seltsame geometrische Figuren. Sie blieben, auch wenn man die Augen schloß. Er starrte die Strecke hinab, er wußte, daß es besser war, zu warten, als unnütz herumzulaufen. Es gab zentrale Punkte, an denen immer jemand vorbeikam, und dies war solch ein Punkt.
    Dann sah er das Licht. Es schien stillzustehen, schaukelnd auf immer gleicher Höhe, als ob jemand winken würde. Es |686| blieb sehr lange so, und manchmal schien es, als ob es sich sogar entfernen würde. Aber dann wurde es plötzlich rasch größer; eine Mannschaftslampe, die einen Mann aus der Dunkelheit hob, der ging schleppend und trug schwer, die Schritte plitschten im Wassersaig. »Kch, kch, kch«, machte der Mann, »keiner da, was?« Er setzte den Kübel ab, es war der Saigenreiniger Fadenschein. Er trat nahe an Christian heran und leuchtete ihn an mit seiner Lampe, dann setzte er sich, zog die Gummistiefel aus und begann die Fußlappen neu zu wickeln. »Kch, kch«, machte Fadenschein und betrachtete aufmerksam die Löcher in den Fußlappen und die schwarzgelaufenen Stellen; er sagte gluckernd: »Das sieht ja wie bei Hempels aus.« Er zog die Stiefel wieder über, steckte die Hosenbeine in die Stiefelschäfte, holte eine Blechbüchse aus der Hosentasche und begann eine Zigarette zu drehen. Sorgfältig leckte er über die Gummierung. Er verschloß die Büchse mit einem Gummiband, wickelte sie in ein schwärzliches Taschentuch, dann zündete er die Zigarette an. Den Rauch sog er tief ein, er schnupperte am Rauch und betrachtete lange die Asche, dann sagte er: »Riecht man gleich, was?« Er streckte die Beine aus, räkelte den Rücken am Stempel, er rauchte schmatzend und sagte: »Das ist wieder was, die können das, die habens wieder.«
    Allerhand Geschichten gingen um. Es hieß, der Gluckerer sei Sänger gewesen an der Breslauer Oper. Er sei ausgewiesen worden im Winter vierundvierzig, aber die Polen hätten zuvor seine Frau vergewaltigt zu dritt, die sei daraufhin dortgeblieben. Andere sagten: Ach was, sie ist ihm durchgebrannt, der war doch bloß Aushilfstenor im Kalinger Männer-Gesangsverein; jedes Jahr Weihnachten kriegt er ne Ansichtskarte aus Wuppertal. Das klang glaubhaft, immerhin sang er ganz angenehm. Und nur Bergschicker wußte: In Wahrheit war Fadenschein ein schäbiger, krummer, kleiner Kammer-Gefreiter gewesen bei den Hundertzweiunddreißigern, und von allem, was über ihn erzählt wurde, stimmte nur, daß er |687| an den Nägeln kaute und den Josef Goebbels, den er verehrte, imitieren konnte.
    »Kch, kch«, sagte Fadenschein, »wenn ich du wäre, ich wüßte schon, wo ich hinzugehen hätte.« Er beugte sich vor und blies Christian seinen Zigarettenrauch ins Gesicht. Er kicherte kindisch. »Die kommen wieder groß raus, wirst du sehen. Die sind wieder da. Eines Tages werden die sich alle die Hosen vollmachen hier.« Er kratzte sich mit dem rechten Absatz am linken Schienbein, er war jetzt zufrieden.
    Sie saßen fast eine Viertelstunde, aber noch immer war niemand zu sehen. Die Ratten raschelten, das Wasser tropfte. Die Rohre knackten leise, irgendwo blies feine Luft. Das kam jetzt wieder in Gang, Geräusche kamen auf, dünnes Knattern von Preßlufthämmern, Rollen eines Zuges auf der Bunkerstrecke. Man kann sehr weit hören untertage, die Luft trägt Geräusche heran, und der Berg trägt sie und bricht sie. Es kam von den Blöcken Dreizehn und Vierzehn her. Es kam die Strecke herauf: Klicken von Metall und ein seltsames Schurren, das regelmäßig unterbrochen wurde. Ein zweiter Zug war zu hören und ein dritter. Der Berg arbeitete wieder.
    Und endlich kamen die Lichter auf. Stimmen stritten miteinander. Fadenschein hielt den Kopf schräg, halbe Sätze waren zu verstehen. Er lauschte angestrengt, stumm, indes die Lichter näher kamen. Er sog hörbar die Luft ein und stand auf. Er sagte: »Brack!« Das blieb in der Luft

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