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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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eine Tonart, die hieß: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen, eine gar einleuchtende Melodei, und am lautesten betete sie, wer sich noch nie nach Arbeit gedrängt hatte und auch fürderhin mit zwei linken Händen durchs Leben zu kommen gedachte. Der Blockwart wurde Straßenbeauftragter mit Brotkartenmonopol, HJ-Turnlehrer Grasselt wechselte zur |82| Antifa-Jugend und kommandierte bau-auf-bau-auf, auch der Stiefvater hatte bald wieder ein Pöstchen, die Care-Pakete verzehrten sie heimlich und hißten öffentlich den Freifahrschein für die neue Zeit, denn es muß einer Geld oder Macht oder wenigstens Ansehen haben, um andere für sich arbeiten lassen zu können. Immer wirst du unten bleiben mit der Nase im Dreck, Peter Loose, wirst dein Leben lang schuften in harter Mühle und dich für ein paar Stunden entschädigen auf den Rummelplätzen der Welt, beim Wodka, an der warmen Haut eines Mädchens, denn es fehlen dir ein paar Kleinigkeiten, ohne die man in dieser Zeit nicht hochkommt. Ein bißchen Anpassungsfähigkeit fehlt dir und ein bißchen Arschkriecherei, ein bißchen Gebetsmühlendreherei und ein bißchen fortschrittsträchtige Skrupellosigkeit, und hast auch keinen, der dir ermöglicht hätte, die Oberschule zu besuchen wie Kleinschmidt, denn in deinen Kreisen hat man gefälligst mitzuverdienen vom vierzehnten Jahr an. Sehen wirst du, wie sie emporkommen neben dir, und haben dir nichts voraus als eben diese Kleinigkeit. Mehlhorn, ja, der wird sich anbiedern bei der Macht, bis sie ihm gehört, während du deine Träume ausschwitzen wirst und vergessen. Die Kriecher und Musterknaben werden ins Kraut schießen, zu hohen Preisen werden die Jesuiten gehandelt werden, und für deinesgleichen werden sie die Mär vom befreiten Arbeitsmann herunterbeten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, vom Schöpfer aller Werke und Herrscher dieses Landstrichs, auf daß du bei der Stange bleibst und dir die Brust voll Ruhm und Hoffnung schaufelst, Ruhm, den sie einheimsen, Hoffnung, die sie gepachtet haben. Da flackert die ganze Wahrheit in den Gesichtern vor dir, Spieß, Radieschen, Liebling, Heidewitzka, du bist ihresgleichen, und auch sie werden dich nicht ausbrechen lassen aus der Namenlosigkeit, sie zuallerletzt. Es ist ein ewiger Kreislauf, Peter Loose, und du hast ihn längst durchschaut, betäube deine Einsichten oder schrei sie hinaus, für deinesgleichen hat das Leben nur die Brösel übrig und einen Tritt |83| zum Schluß. Das kommt: Es gibt zu viele von euch, man notiert euch kompanieweise an den Börsen dieser Welt, unterm Tageskurs des Knochenmarks, und wo die höheren Werte beginnen, da sind die Grenzen des Proletenvaterlands. Darauf einen Dreistern mit Hammer und Sichel, Peter Loose, sto Gramm auf die Gegenwart und sto Gramm auf die Zukunft. Hurra!
    Und auch die Horde ging nun zum scharfen Saufen über. Spieß visierte den Pegel an, daumenbreit unterm Glasrand, hoch die Tassen und ein Lied drei, vier, von der AG Wismut kommen wir, und Radieschen immer mittenmang, Radieschen mit dem Silberblick, sie soff manchen Familienvater untern Tisch. Der Wirt linste herüber, er könnte Stöpselgeld verlangen, steht ihm gesetzlich zu, aber meilenweit ist keiner, der ihm dabei helfen würde. Auch war die Runde gewachsen mittlerweile, Kaschau war gekommen und Titte Klammergass, Paule Dextropur und Siggi das Badergassengespenst, sie kamen von der Mittelschicht. Schwarz hockten die Gummijacken an den Bohlentischen, graue Bärte über schwarzen Kollern, Spieß Artus hebt den Humpen. Und Kleinschmidt, der einzige, der es nicht nötig hätte, Kleinschmidt nippt nur, nuckelt am Flaschenhals wie ein Milchbaby. Denn Kleinschmidt hat es nämlich wirklich nicht nötig. Man hat den Brief gelesen, sein lieber Onkel am Rhein schickte ihm liebe Grüße und fragte an, ob er nicht in seine Arme kommen wolle, er mit seinen Fähigkeiten wird doch nicht so dumm sein und sich in dieser Ostzone das Leben verhunzen, wo er drüben studieren könnte, der liebe Neffe Christian, Onkel Hollenkamp würde das schon managen. Milchbaby Kleinschmidt wollte aber nicht, das war so ein Tick von dem Mann. Lieber macht er beim Iwan den Buckel krumm, als daß er sich von der Verwandtschaft was schenken läßt. Da läßt er sich schon lieber vom Steiger Fischer was schenken, einen bevorzugten Arbeitsplatz mit einer hohen Lohngruppe und gemäßigter Schinderei, der Gute. Tja, wenn man so einen |84| Onkel hätte! Man hat aber bloß eine Schwester drüben am

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