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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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1
    E s ist vorbei. Es muss jetzt vorbei sein. Mit diesem Knall soll es zu Ende sein. Endlich. Ich schlage jetzt zurück.
    Es hat laut geknallt. Ich hatte nur mit einem Klirren gerechnet. Wenn ich überhaupt gerechnet habe. Meine Faust ist von alleine nach vorne geschnellt. Wie bei einem Boxschlag. Ich bin nicht sportlich. Eine Saison in der Handballmannschaft. Ein halbes Jahr Schwimmverein. Zwei Kurse Callanetics. Joggen, ab und zu. Meine Faust war überraschend schnell. Sie glitt durch das Glas. Der Knall zerschnitt die Luft. Meine Haut ist auch durchschnitten. Ich staune über das Blut, darüber, dass es gar nicht wehtut, wieder über das Blut, und plötzlich schreit meine Stimme. Es ist kein Wort. Kein »Hilfe«, auch nicht »Mama« oder so. Es ist eher ein Laut. Ein kehliger Laut. Katzen schreien manchmal so. Er überrascht mich auch. Ich bin selten laut.
    Mein Opa ist als Erster da. Er stöhnt auf, als er mich sieht. »Kind«, sagt er nur. Das stimmt natürlich nicht. Aber er sagt immer »Kind« zu mir. Ich mag das irgendwie. Er wird von meiner Mutter zur Seite geschubst. Sie ist noch lauter, als ich es eben war. Aber eher kreischig: »Linda, was machst du?«
    »Ich glaube, ich verblute gerade«, antworte ich. Meine Stimme zittert nur ein bisschen.
    Meine Mutter zerrt an ihrer Schürze. Sie fängt immer wieder Sätze an, die sie nicht beendet. Als sie endlich die
auf ihrem Rücken gebundene Schleife geöffnet hat, wickelt sie mir den Stoff um das Handgelenk. Er riecht nach kaltem Fett und heißen Zwiebeln. Auf der Schürze war der Druck eines nackten Mannes. Das Teil habe ich mal meinem Dad geschenkt. Direkt oben auf meinem Unterarm prangt jetzt ein Penis. Sieht irgendwie albern aus. Ich überlege, ob die Schürze wohl mit fünfundneunzig Grad gewaschen werden darf. Die Blutf lecken werden sonst niemals rausgehen. Vielleicht sieht der nackte Männerkörper mit den großflächigen Blutflecken aber auch viel besser aus. Ich wundere mich über meine Gedanken. Meine Mutter hat längst angefangen zu weinen. Mein Opa guckt ungläubig in mein Gesicht und auf den Penis. Ich bin mir nicht sicher, was ihn an dieser Situation am meisten irritiert. Es tut mir leid, dass ich ihm das hier zumuten muss.
    Luises Stimme legt sich hart über den Lautsalat in meinem Zimmer. Sie ist langsam, klar, deutlich.
    »Linda, du legst dich hin. Flach. Die Beine auf den Stuhl. Mama, zieh deine Schuhe an, du fährst mit ins Krankenhaus. Der Krankenwagen ist gleich da.«
    Ich kann sie nicht angucken. War ja klar. Luise, die Überlegende, die Überlegene. Die Alleskönnerin. Sie drückt die richtigen Knöpfe, regelt das Leben. Wenn andere untergehen, geht sie über das Wasser. Echt zum Kotzen. Ich liege hier auf dem babydurchfallkackbeigen Teppich und gucke sie von unten an. Von hier sieht sie aus, als sei sie über zwei Meter groß. Ihre Beine wirken auch total lang. Oder zumindest normal lang. Sie hat in Wirklichkeit ziemlich kurze Beine. Vielleicht sollte ich ihr das mal sagen. Dass ihr die Typen nur deswegen alle zu Füßen liegen, damit ihre kurzen Stummelbeine annehmbar wirken. Ich sage das nicht, stöhne nur kurz auf. Mir tut immer noch nichts weh, komisch eigentlich, aber mein
Hals wird zu eng. Ich kriege nicht mehr genug Luft. Luise kniet sich neben mich.
    »Linda, bleib ganz ruhig. Das ist nur dein Kreislauf, der gerade in den Keller rauscht. Bleib ganz entspannt. Du fährst gleich mit Ma ins Krankenhaus. Die tackern dich wieder zu.«
    Sie hört sich an, als würde sie in eine Konservendose sprechen. In so ein Konservendosentelefon. Das hatten wir früher. Jeder saß in seinem Zimmer und brüllte in eine leere Dose. Dazwischen war eine Schnur gespannt. Wir haben uns stundenlang mithilfe dieser Konstruktion unterhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob durch die Wand oder wirklich über die Schnur.
    Luise hält meine Hand, wie sie sie immer hält. Ihre Hand umfasst meine Faust. So haben wir uns schon immer an der Hand gehalten. Ich balle immer die Faust. Ich bin so froh, dass Luise jetzt hier ist. Trotz allem. Fast wünschte ich, sie käme mit ins Krankenhaus. Aber wahrscheinlich will sie gleich wieder hoch zu ihrem Paul. Ich würde Luise jetzt gerne alles sagen. Ich habe plötzlich eine Riesenangst, dass es dafür vielleicht bald zu spät sein könnte. Mir wird total kalt. Als würden alle warmen Farben gerade in eine alberne Nackte-Männer-Schürze fließen. Ich werde auch müde. Als wären alle meine Gedanken in diese Luftbläschenfolie

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