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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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Kochplatte, die auf dem Fußboden stand.
    Wie gesagt: Man hatte auf Irene gewartet. Sie hatte keine Ahnung, weshalb Lewin sich ausgerechnet hier mit ihr treffen wollte, nun, man würde es schon noch erfahren. Sie erfuhr es sofort: Freitags trafen sich Vitzthum und seine Freunde im »Blauen Wellem«. Man lud sie nicht etwa ein, nein, man hielt es für selbstverständlich, daß sie mitging. Langsam machte ihr die Sache Spaß; für die Selbstverständlichkeit war sie Vitzthum fast dankbar. Dabei tat er gar nichts dazu, er redete nur mit ihr, wie er immer und mit allen Leuten redete. Allerdings sagte der Name Hollenkamp dem Herausgeber Siegfried Vizthum nicht viel. Das Mädchen fuhr einen Wagen, schien also keinen armen Vater zu haben, studierte Musik. Na schön. Lewin kannte nun mal allerlei Leute.
    Sie tranken Kaffee, man hatte noch etwas Zeit. Der Kaffee war übrigens gut, nur die Tasse hatte einen Sprung. »Übrigens weiß man nicht genau, warum sie sich immer dort treffen«, sagte Lewin. »Sie wissen es selbst nicht.«
    Vitzthum lachte. Dabei bemerkte Irene, wie jung er noch war. »Tatsächlich«, sagte er. »Da ist etwas dran. Allerdings ist Martin auch schon ein halbdutzendmal dabeigewesen und kommt immer wieder.« Er sah Irene fröhlich an. »Er macht alles mit bei uns, aber er meint, daß er nicht dazugehört.«
    |143| Das ältliche Fräulein brachte etwas zur Unterschrift. Sie schien in dieser Redaktion die einzige zu sein, die ernsthaft arbeitete. Bevor sie ging, nahm auch sie sich Kaffee, was Irene neuerdings verwunderte. Schließlich war ja wohl dieser Vitzthum so etwas wie ein Chef. Aber es waren der Merkwürdigkeiten zu viele, als daß man über eine einzelne hätte nachdenken können; es ging zu wie geträumt. Natürlich hatte Irene keine Ahnung, daß es in Deutschland mindestens ein gutes Hundert Redaktionen gab, die dieser aufs Haar glichen.
    Als man schließlich aufbrach, gab es eine neue Überraschung. Vitzthum griff nämlich hinter einen Rollschrank, brachte zwei Metallstöcke hervor, stützte sich. Siegfried Vitzthum war beinamputiert. Das rechte Hosenbein war oberhalb des Knies abgeschnitten und zusammengenäht. Die Begrüßung erschien nun in einem anderen Licht, Irene fühlte sich rot werden. Und sie ging die Treppe hinab, vor den Männern, dachte plötzlich: Der Wagen. Wenn Martin mich deshalb hätte kommen lassen …
    Als sie über den Rhein fuhren, brach vom Horizont langsam die Dunkelheit nieder. Die Brücke lag noch im letzten Licht des Dezember; drüben aber, in den Ruinenstraßen, war schon die Nacht. Es war, als flöge der Wagen in einen jäh sich auftuenden Abgrund aus schwarzer Vergänglichkeit.
    Martin hatte sich nach vorn zu Irene gesetzt. Er starrte durch die Frontscheibe, schloß geblendet die Augen: Hin und wieder tauchten aus der Dunkelheit Lichter auf, entgegenkommende Autos. Jedem Scheinwerfer folgte diese unglaubliche Finsternis. Später aber gab es wieder Häuser rechts und links, erleuchtete Fenster, die Kugellampen einer Tankstelle. Die Uhr im Wagen ging nach; er stellte es bei einem Blick auf die Armbanduhr fest. Aber Irene fuhr gut, obschon ihr Führerschein noch frisch war. Vor kurzem war auf dieser Straße ein Pkw von Besatzungssoldaten angehalten worden, man hatte den Fahrer mit Platzwunden am Kopf bewußtlos aufgefunden, der Wagen wurde noch gesucht. Fuhr sie deshalb |144| so schnell? Vitzthum sagte von hinten: »Sie haben schon das zweite Mal überholt, ohne den Winker einzuschalten.«
    Es sollte aber noch eine Überraschung geben.
    Der Motor begann plötzlich zu stottern, setzte aus, blubberte. Irene betätigte den Anlasser, der Motor sprang auch tatsächlich noch einmal an, verstummte dann aber gleich wieder. Sie begann nervös zu hantieren. Vielleicht die Zündung … Vitzthum fragte schon. Keine Ahnung, was los ist. Wie sich herausstellte, hatten auch die Männer keine Ahnung. Ein Trost, die Blamage wog leichter.
    Sie stieg aus und öffnete die Kühlerhaube. Schließlich mußte man irgend etwas tun. Lewin war mit ausgestiegen. »Was ist es denn?« fragte er harmlos. Als ob man das so einem Kasten ansehen könnte. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »ich glaube, die Kerzen. Aber man kann ja nichts sehen.«
    Zehn Meter weiter stand eine Laterne. So setzte sich also Vitzthum ans Steuer, und sie schoben den Wagen unter das Licht. Aber natürlich konnte das Licht nicht helfen. Der Motor schimmerte silbergrau, stumm und fremd. »Ich habe auch keine Ersatzkerzen«, sagte

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