Runenschild
Fabelwesen gehorchte, kommentierte seinen Befehl
aber mit einem unwilligen Schnauben und einem noch
unwilligeren Schütteln des prachtvollen Hauptes mit dem
weißen Horn, das nur Lancelot selbst sehen konnte, nicht
aber sein Gegner. Wenn er nicht aufpasste, würde es damit
den Ritter aufspießen, denn es hatte Blut gewittert; das
Raubtier in ihm war längst erwacht.
Bartholomäus richtete sich stöhnend im Sattel auf. Einer
von Lancelots letzten Hieben hatte ihm den Helm vom
Schädel gerissen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß und
war schmerzverzerrt. Sein Handgelenk musste gebrochen
sein und der Schmerz schien selbst für einen so kampferprobten Ritter wie ihn fast mehr zu sein, als er ertragen
konnte. Dennoch las Lancelot ganz deutlich in seinen Augen, dass er nicht aufgeben würde, obwohl er wissen
musste, was das bedeutete.
Mit zusammengebissenen Zähnen legte Bartholomäus
den gebrochenen, nutzlosen rechten Arm vor sich in den
Sattel, schüttelte den Schild von seinem anderen Arm und
tastete ungeschickt und fahrig mit der nun frei gewordenen
Hand nach dem dreikugeligen Morgenstern, der an seinem
Sattel hing. Selbst über dieses Handgelenk lief Blut, wenn
auch nicht annähernd so viel wie über das andere. Lancelot hatte ihn mindestens ein Dutzend Mal getroffen, und
obwohl er mit einem ganz normalen Schwert kämpfte statt
mit der magischen Runenklinge, hatte mehr als ein Hieb
die Rüstung seines Gegners durchschlagen und ihm tiefe
Wunden zugefügt. Er wusste nicht, welches Gefühl stärker
in ihm war: Die Achtung, die er der Kraft und dem Mut
des Tafelritters zollte, oder das kalte Entsetzen bei dem
Gedanken, dass er ihn aller Wahrscheinlichkeit nach töten
musste.
»Ich beschwöre Euch, gebt auf, Sir«, sagte er eindringlich. »Ihr wisst, dass Ihr mich nicht besiegen könnt.
Zwingt mich nicht, Euch auch noch zu erschlagen!« Bartholomäus war nicht allein gekommen, sondern in Begleitung zweier Knappen und zweier weiterer Lancelot unbekannter junger Ritter, die sich wohl wie viele andere erst
in letzter Zeit König Artus angeschlossen hatten. Der Mut
dieser jungen Heißsporne war größer als ihr Geschick im
Umgang mit dem Schwert und erst recht größer als ihr
Verstand. Die Knappen hatten sofort die Flucht ergriffen,
als sie den legendären Lancelot auf seinem riesigen gepanzerten Reittier erblickten – obwohl sie dieses nur als
prächtiges Schlachtross, nicht aber als Einhorn erkennen
konnten –, die beiden Ritter und Sir Bartholomäus waren
dagegen dumm genug gewesen, sich auf einen Kampf
einzulassen.
Die zwei jungen Narren lagen jetzt in ihrem Blut da.
Bartholomäus hatte ihnen die undankbare Aufgabe übertragen, Lancelot als Erste anzugreifen, um ihn zu ermüden, auch wenn er vermutlich ganz genau gewusst hatte,
dass sie mit ihrem Leben dafür bezahlen würden; ein Verhalten, das vielleicht nicht unbedingt ritterlich, unter Artus’ altgedienten Recken aber nichtsdestotrotz gang und
gäbe war. Wenn es um ihren Vorteil ging, dann nahmen es
die Mitglieder der zusammengeschmolzenen Tafelrunde
mit den alten Rittertugenden nicht allzu genau.
»Ich kann nicht aufgeben, und das wisst Ihr auch genau,
Lancelot«, antwortete Bartholomäus gepresst. In den
Schweiß auf seinem stoppelbärtigen, ausgezehrt wirkenden Gesicht mengte sich jetzt Blut, das aus seinem Haaransatz sickerte. Sein Blick flackerte. Er hatte den Morgenstern vom Sattel gelöst, aber er hatte nicht mehr die Kraft,
ihn zu schwingen. Die stachelbewehrten Eisenkugeln hingen reglos nach unten und wirkten nun nicht mehr bedrohlich, sondern unterstrichen eher noch die Schwäche des
Mannes. »Ich habe Artus geschworen, Euch und Lady
Gwinneth zurückzubringen.«
»Dann sagt ihm, Ihr hättet mich nicht gefunden.« Lancelot maß Bartholomäus’ zerschlagene, blutüberströmte Gestalt mit einem langen Blick und verbesserte sich. »Oder
sagt ihm, Ihr hättet mich gefunden und ich hätte Euch besiegt … was ja auch der Wahrheit entspricht.«
»Ihr wisst, dass mir ein solches feiges Verhalten verwehrt ist«, antwortete Bartholomäus.
»Ich werde nicht gegen Euch kämpfen.« Lancelot senkte
demonstrativ den Schild, dann das Schwert. Nach einem
neuerlichen, kurzen Zögern schob er die Waffe schließlich
in die silberbeschlagene Scheide an seinem Gürtel, die
dieser Waffe vorbehalten war und nicht dem Runenschwert, das er sorgfältig eingewickelt dem Einhorn anvertraut hatte in der Hoffnung, es nie wieder
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