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Runenschild

Titel: Runenschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eine Reihe mehr oder weniger mächtiger Häuser und
Königreiche, die seinen alleinigen Herrschaftsanspruch
über ganz Britannien nicht anerkannten. Aber das Land
spaltete sich dabei in zwei strenge Lager: Es gab die, die
Artus treu ergeben waren und die, die ihm ewige Feindschaft geschworen hatten.
Nichts dazwischen. Sie hatten die Wahl, in einer Stadt
oder bei einem Herrscher Unterschlupf zu suchen, der sie
am Ende an Camelot ausliefern würde, oder sich Artus’
Feinden anzuschließen. Das eine verbot sich von selbst
und das andere kam für sie beide erst recht nicht infrage.
Artus mochte sie für vogelfrei erklärt und ihnen den Tod
geschworen haben, aber zu seinen Feinden überzulaufen,
wäre dennoch ein Akt des Verrates gewesen, zu dem weder Gwinneth noch er bereit waren.
Er führte Gwinneth die wenigen Schritte zu ihrem Pferd
und half ihr in den Sattel hinauf. Erneut fiel ihm auf, wie
kalt und wächsern sich ihre Haut anfühlte und wie dünn, ja
fast zerbrechlich sie wirkte. Schlank war sie schon immer
gewesen, aber nun hatte sie gefährlich an Gewicht verloren. Obwohl sie nicht krank werden konnte – schließlich
gehörten sie beide dem widerstandsfähigen Elbenvolk an –
, zehrten doch Hunger und Entbehrungen an ihr. Mit dem
Geld und den Wertsachen der Toten waren sie wenigstens
wieder in der Lage, sich etwas zu essen zu kaufen und
vielleicht einen Platz unter einem Dach oder wenigstens
an einem warmen Feuer zu bezahlen. Es war so, wie
Gwinneth gesagt hatte: So weit war es mit ihnen gekommen.
Lancelot überzeugte sich davon, dass Gwinneth sicher
im Sattel saß, dann ging er zu dem wartenden Einhorn und
stieg ebenfalls auf. Das Tier schnaubte und begann mit
den Vorderhufen im Schnee zu scharren und Lancelot
spürte seine Enttäuschung und seinen Ärger. Das Geschöpf hatte Blut gewittert und es verlangte nach mehr.
»Wohin?«, fragte Gwinneth.
Lancelot tat so, als müsste er einen Moment überlegen,
dann deutete er nach Westen – um der Wahrheit die Ehre
zu geben, vollkommen willkürlich. Es war die Richtung,
in die der Weg führte, das war der einzige Grund. Sie
wussten schon lange nicht mehr, wohin sie sich auf ihrer
Flucht eigentlich wenden sollten. Nachdem sie anfänglich
so weit wie möglich an die zerklüftete Küste im fernen
Schottland vorgestoßen waren, ohne Artus’ Häscher abschütteln zu können, verfolgten sie mittlerweile nur noch
einen vollkommen willkürlichen Zickzackkurs, wobei sie
lediglich darauf achteten, Camelot nicht zu nahe zu kommen.
Gwinneth ließ ihr Pferd antraben und Lancelot wartete,
bis sie an seiner Seite war, ehe er das Einhorn ebenfalls in
Bewegung setzte. Das Packpferd schloss sich ihnen ohne
besondere Aufforderung an, doch sein Anblick versetzte
Lancelot einen tiefen Stich. Obwohl ihnen das struppige
Pony seit drei Monaten die Treue gehalten hatte, würden
sie sich jetzt bald von ihm trennen müssen. Es war bedeutend langsamer als das Einhorn und Gwinneths prachtvoller Schimmel und hielt sie nur auf; außerdem hatten sie
schon seit Wochen kaum noch etwas, das sich auf seine
Satteltaschen auszulagern lohnte.
Das Schneetreiben nahm zu, während sie langsam nebeneinander über den schmalen Waldweg ritten. Es wurde
kälter.
Der Hof lag in der Biegung eines Flusses, dessen Namen
Lancelot nicht kannte und der so schmal war, dass man
ihn vermutlich auf kaum einer Karte fand. Der strenge
Winter hatte ihn schon vor Wochen zufrieren lassen, wodurch er seine Funktion als natürliche Begrenzung des
Hofs eingebüßt hatte. Ein Teil des Viehs war über das Eis
ans gegenüberliegende Ufer gelaufen und hatte sich dort
über die weitläufige Wiese des Flusses verteilt; ein knappes Dutzend zottiger, langhaariger Rinder, das mit unerschütterlicher Beharrlichkeit unter dem frisch gefallenen
Schnee nach den wenigen Grashalmen oder moosbedeckten Stellen suchte, die den Wintereinbruch bisher überstanden hatten.
»Der Bauer scheint sich um sein Vieh nicht viele Sorgen
zu machen«, murmelte Lancelot.
»Oder er hat keinen Grund, misstrauisch zu sein«, antwortete Gwinneth. Ihr Blick tastete über das offen daliegende und nur spärlich bewachsene Ufer auf der gegenüberliegenden Seite. So weit man sehen konnte, gab es dort
keinen Zaun oder irgendein anderes Hindernis, das die
Tiere aufhalten – oder schützen – könnte. »Das hier
scheint eine sehr friedliche Gegend zu sein.«
Es gibt keine friedliche Gegend, dachte Lancelot. Nicht
in

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