Runterschalten!
Single-Frauen an der Schwelle zur Pensionierung einfach sterben, weil ihnen der Lebensinhalt plötzlich fehlt? Karoshi, wie man in Japan den plötzlich einsetzenden Tod nach der Berufstätigkeit nennt, war bisher eher eine Männer-Domäne.
Im Fall von Heike Escher kam die Erkenntnis spät, aber nicht zu spät, um ihr Leben noch in andere Bahnen zu lenken. Nachdem die erste Wut abgeflaut war, stellte sich Ernüchterung ein. Gelohnt hatte sich der ganze Einsatz nicht, fand sie. Sie wollte eine Zwischenbilanz ziehen und sich âneu aufstellenâ im Leben.
Zu meiner Verblüffung hatte meine Klientin schnell neue Energien für diese Aufgabe zur Verfügung. Die Beratung durchlief die bekannten Stadien der Schiffbruch-Bewältigung. Schon bei der ersten Sitzung, beim âGeschichte erzählenâ, gelang ihr der Perspektivwechsel, die nicht erfolgte Beförderung als âgar nicht so dramatischâ einzuordnen. Eigentlich, sagte sie, war ja gar nichts passiert. Sie hatte ihren Posten noch, es war eben âein Kelch an ihr vorüber gegangenâ. Das musste nicht mal etwas mit ihr persönlich zu tun haben, das Gleiche war auch schon anderen im Unternehmen passiert. âSo eine Firma ist halt keine Gerechtigkeits-Maschineâ, sagte sie.
In der nächsten Phase der Krisenbewältigung betrachtete sie ihre Situation von allen Seiten und meisterte gleich den nächsten Perspektivwechsel. Sie stellte fest, dass so ein Einschnitt ja auch etwas Gutes habe: âEndlich komme ich mal zum Nachdenken. Dazu hatte ich bei der Hektik überhaupt keine Gelegenheit mehr.â
Je mehr sie dachte, desto wahrscheinlicher war ihr der Schluss, dass sie mit ihrer bisherigen Karriere hochzufrieden sein konnte. Eigentlich konnte sie es damit âgut sein lassenâ.
Und noch eine Erkenntnis drängte sich auf: dass sie ihr Privatleben in den letzten Jahren vollkommen vernachlässigt hatte. Sie hatte keins, mal abgesehen von ein paar Telefonkontakten zu Freundinnen und seltenen Ausflügen mit ihnen. âEhrlich gesagt, hatte ich mich regelrecht eingegraben. Ich habe die Kontakte mit Kollegen für ausreichend gehalten. Aber das sind ja keine Freundschaften.â
Aus der anfänglichen Wut war Akzeptanz geworden, gepaart mit Dankbarkeit. Heike Escher verzeichnete dankbar, dass sie die Chance hatte, in ihrem Leben etwas zu ändern. Sie verordnete sich selbst ein âÃnderungsprogrammâ, das damit anfing, dass sie ihre Ãberstundendrosselte und teilweise sogar schon um fünf Uhr die Arbeit verlieÃ: âEndlich mal nachmittags bummeln gehen â habe ich schon lange nicht mehr gemacht.â Sie erneuerte ein paar alte Freundschaften und nahm ein altes Hobby wieder auf, den Formationstanz. âIch komme wieder ganz anders unter Menschenâ, sagte sie beim letzten Termin.
Heike Escher hat runtergeschaltet ohne Stellenwechsel, ohne Selbstständigkeit, ohne Teilzeit. Sie hat nach der Nicht-Beförderung ihren überhöhten Arbeitseinsatz auf ein normales Maà runtergefahren. Sie tat das ohne Groll und ohne âFrustâ. Es gelang ihr, den ausgebliebenen Karriereschritt nicht als Niederlage zu verbuchen, sondern diesen Einschnitt als Chance und neue Aufgabe zu verstehen.
Endlich hatte sie die Möglichkeit, sich selbst als Menschen mit Bedürfnissen und Inhalten jenseits der Arbeit zu entdecken. â Neuland! Sie hatte ein Privatleben zu leben! Ihr wurde klar, dass sie so auch Perspektiven für eine Lebensphase nach dem Berufsleben antippen und entwickeln konnte.
Die Neuland-Entdeckung hatte wiederum Rückwirkungen auf ihre Arbeit â ihre Mitarbeiter spiegelten ihr zurück, dass sie viel ausgeglichener wirke. Die Arbeit war nicht mehr ganz so wichtig wie früher, ging aber, wie sie verwundert bemerkte, einfacher von der Hand. Sie konnte in kürzerer Zeit dasselbe schaffen wie früher an langen Abenden. Zu den unbekannten Territorien, die ihr die neue Gewichtung in ihrem Leben erschlossen, kam die Entdeckung der Gelassenheit. Es war ein groÃer Gewinn, der erst möglich wurde, nachdem sie das Erreichte wertschätze.
Piano, piano: Gelassener weitermachen
Das ist die einfachste aller Runterschalt-Lösungen, weil sie keine äuÃerliche Veränderung fordert, aber zugleich auch eine der schwierigsten: bleiben, wo man ist, aber die Einstellung dazu ändern.
Wenn wir manches gelassener sehen könnten
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