Rushdie, Salman
der Hund von Resbam stiegen
und in die staubige Gasse traten. «Da du nun also gehen musst, geh rasch, damit
wir uns wieder auf den Weg machen können. Geh zu der anderen Soraya, der, die
in diesem Haus wohnt, und wenn du deinem Vater die Otterkartoffeln in den Mund
steckst, vergiss nicht, dass es die Insultana von Ott war, die sie dir gab. Und
wenn du zu einem jungen Mann heranwächst, dann denke gelegentlich an die Insultana,
falls du nicht alles vollständig vergisst.»
«Ich werde
dich nie vergessen», sagte Luka, «aber bitte, darf ich noch eine letzte Frage
stellen? Kann ich die Otterkartoffeln mit bloßen Händen anfassen? Und wenn ich
sie meinem Dad in den Mund stecke, verbrennt er sich dann nicht?»
«Wer das
Lebensfeuer berührt, wird nicht verletzt», sagte Soraya von Ott, «da es alle
Verletzungen heilt. Du wirst sehen, dieses glühende Gemüse ist nicht zu heiß
zum Anfassen. Und es wird deinem Vater nur guttun. In deinem Pott sind übrigens
sechs Otterkartoffeln», setzte sie noch hinzu, «eine für jeden von euch,
solltet ihr euch dafür entscheiden.»
«Dann leb
wohl», erwiderte Luka und wandte sich zum Alten Knaben um. «Ich wollte noch
sagen, dass mir leidtut, was mit Captain Aag passiert ist, schließlich war er
dein Bruder.» Der Alte Knabe zuckte mit den Achseln. «Das muss dir nicht
leidtun», sagte er. «Ich habe ihn sowieso nie gemocht.» Dann hob die Insultana
Soraya ohne weitere Umschweife die Arme, und der fliegende Teppich von König
Salomon dem Weisen stieg zum Himmel auf, um mit einem leisen Wusch zum
Abschied davonzufliegen.
Als Luka
sich zum Haus umdrehte, sah er im frühen Morgenlicht eine große goldene Kugel
auf der Türschwelle glitzern: der Speicherpunkt für Level neun, das Ende des
«Spiels», nur dass es gar kein Spiel gewesen war, wie Nobodaddy behauptet
hatte, sondern ein Kampf um Leben und Tod. «Jetzt kommt», rief er Hund und Bär
zu, «gehen wir nach Hause.» Er lief zum Speicherpunkt, aber kurz bevor er ihn
erreichte, stolperte er, so wie er es vorhergeahnt hatte, konnte der Kugel
jedoch mit dem linken Fuß noch einen Tritt verpassen, taumelte unbeholfen
nach rechts und hörte zum letzten Mal das typische Pling, mit dem
das Erreichte bestätigt wurde. Einen Moment lang fühlte er sich seltsam
schwindelig, sämtliche
Zahlen
verschwanden aus seinem Blickfeld, doch dann hatte er sein Gleichgewicht
wiedergewonnen und sah, dass die goldene Kugel verschwunden war und die Farben
der Welt wieder normal aussahen. Jetzt wusste Luka, dass er die Welt der Magie
hinter sich gelassen hatte und wieder dort angekommen war, wo er sein musste.
«Anscheinend ist seither keine einzige Sekunde vergangen», staunte er. «Also
ist all das überhaupt nicht passiert, nur dass es natürlich doch passiert ist.»
Der Otterpott hing noch um seinen Hals, und er konnte seine Wärme an der Brust
spüren. Da holte Luka tief Luft, rannte ins Haus und die Treppe hinauf, so
schnell er nur konnte, und Bär der Hund und Hund der Bär blieben ihm auf den Fersen.
Herrlich
vertraute Gerüche hießen ihn daheim willkommen, das Parfüm seiner Mutter, die
eintausendundein Geheimnisse ihrer Küche, der frische Duft sauberer
Bettwäsche, die gesammelten Aromen all dessen, was in den Jahren seines Lebens
in diesen Wänden geschehen war, aber auch die älteren, undeutlicheren Gerüche,
die noch aus der Zeit vor seiner Geburt in der Luft hingen. Oben auf der
Treppe stand sein Bruder Harun mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht. «Du
bist irgendwo gewesen, stimmt's?», fragte er. «Du hast was erlebt, ich sehe es
dir an.» Luka hastete an ihm vorbei und rief: «Keine Zeit, dir jetzt was zu
erklären, ehrlich nicht», und Harun drehte sich um und lief ihm hinterher. «Ich
hab's gewusst», sagte er. «Du hast dein Abenteuer erlebt! Jetzt mach schon,
raus damit! Und was hängt da eigentlich um deinen Hals?» Doch Luka rannte
weiter, ohne ihm zu antworten, und während er ins Schlafzimmer seines Vaters
stürmte, drängten sich Bär der Hund und Hund der Bär an Harun vorbei.
Schließlich hatten sie das Abenteuer mitgemacht und dachten gar nicht daran,
sich die letzte Szene entgehen zu lassen.
Raschid
Khalifa lag in seinem Bett und schlief mit offenem Mund. Nichts hatte sich
verändert, seit Luka ihn zuletzt gesehen hatte, immer noch hingen Schläuche von
seinem Arm, und der Monitor am Bett zeigte an, dass sein Herz noch schlug, wenn
auch sehr, sehr schwach. Trotzdem sah er glücklich aus, sah immer noch
glücklich
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