Rushdie, Salman
Fähigkeit, laut mit den Fingern zu
schnipsen. Als Waffe machte das natürlich nicht viel her, und doch war es
interessant, zu sehen, dass sein Fluch die Aalim aufhielt, dass sie die Köpfe
zusammensteckten und jetzt beinahe hilflos -
zumindest kam es Luka so vor - miteinander flüsterten und wisperten. War das
möglich? Konnte es wirklich sein, dass sie gegen Luka Khalifas gefürchtete
Flüche machtlos waren? Wussten sie etwa, dass er zu jenen besonderen Kindern
gehörte, die niemals zu Opfern der Zeit werden? Falls dies wirklich Raschid
Khalifas magische Welt war, hatte er dann nicht auch die Aalim geschaffen, und
unterlagen sie als seine Geschöpfe nicht seinen Gesetzen? Bedächtig wie ein Zauberer,
der einen Zauber ausspricht, hob Luka die linke Hand hoch über den Kopf und
schnipste mit den Fingern. So laut er nur konnte.
Als hätte
Baadal-Garh nur auf dieses Signal gewartet, begann die Wolkenburg wie eine
billige Theaterkulisse zu wackeln; Risse zeigten sich in den zinnenbewehrten
Mauern dieser luftigen Festung, und vor den Augen der erstaunten Gefangenen
fielen große Stücke herab. «Die Burg wird von außen angegriffen!», schrie Luka,
und Jubel brandete auf dem fliegenden Teppich auf, als die Aalim verschwanden,
um sich diesem unerwarteten Angriff zu stellen. «Wer ist das?», fragte Soraya,
die langsam wieder zu Kräften kam. Dass sie einen Moment der Schwäche erlebt
hatte, schien ihr furchtbar peinlich zu sein. «Die Otter Air Force? Wenn ja,
dann fürchte ich, ist das ein Selbstmordkommando.» Der nackte Titan schüttelte
das Haupt, und ein Grinsen breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. «Nein,
das sind nicht die Otter», sagte er. «Das sind die Götter, die sich mal wieder
ordentlich danebenbenehmen.»
«Nun, wir
sind uns im Großen und Ganzen ja einig, was von den Göttern zu halten ist»,
sagten die Elefantenvögel, «aber deshalb muss man doch nicht gleich so respektlos
über sie reden.»
«Ich meine
ja nur», erwiderte der Alte Knabe mit einem Seufzer, «dass die Götter endlich
einen Aufstand wagen.»
Und die
Götter rebellierten tatsächlich. Wenn Luka später in seinem Leben an diese
Ereignisse zurückdachte, war er sich nie sicher, ob die Revolte der Götter von
seiner Rede unter dem Baum des Schreckens ausgelöst worden war, mit der er den
vergessenen Unsterblichen klarzumachen versucht hatte, dass ihr Überleben vom
Überleben seines Vaters abhing, ob ihr Aufstand durch seinen Fluch entfacht
worden war, mit dem er die Herrschaft der Aalim über die Geschehnisse in
beiden Welten, der realen wie der magischen Welt, brechen wollte, oder ob die
pensionierten Unsterblichen einfach zu dem Schluss gekommen waren, genug sei
nun einmal genug, und Luka war mit seinen Freunden nur zufällig zur rechten
Zeit zugegen gewesen, um die Folgen ihrer Entscheidung mitzuerleben. Was auch
immer der wahre Grund sein mochte: In diesem Moment quollen die Ex-Götter aus
dem Herzen der Magie wie ein gewaltiger Hornissenschwarm durch den Riss im
Himmel und fielen zornentbrannt über die Wolkenburg Baadal-Garh her. Bast, die
Katzengöttin Ägyptens, Hadadu, der akkadische Donnergott, Gong Gong, Chinas
Gott der Flut, dessen Schädel so mächtig war, dass er damit die Säulen des Himmels
zum Einsturz bringen konnte, Nyx, die griechische Nachtgöttin, der wilde
Fenriswolf, Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange Mexikos, sowie diverse
andere Dämonen, Walküren, Rakschasas und Kobolde stürmten Seite an Seite mit
den großen Göttern - mit Ra, Zeus, Tlaloc, Odin, Anzu, Vulkan und dem Rest -
voran, um die Wolkenburg in Brand zu setzen, an ihren Mauern Tsunamis brechen
zu lassen, Blitze auf sie zu schleudern, sie mit Kopfstößen zu rammen und sich
dabei, jedenfalls sofern es Aphrodite und die übrigen Schönheitsgöttinnen betraf,
lauthals über den Zahn der Zeit zu beklagen, der ihrer Haut, ihrer Figur,
ihrem Haar so übel zugesetzt hatte.
Sollte es
ein Kraftfeld gegeben haben, das die Wolkenburg schützte, so konnte es dem
Ansturm der Magie* [nennen wir das Ereignis ruhig
beim vollständigen Namen: der Sturz der Diktatur der Aalim durch die Bewohner
des Herzens der magischen Welt sowie deren Ersatz durch die Inkraftsetzung
einer vernünftigeren Beziehung zur Zeit, die sowohl Traumzeit wie auch Entschlusslosigkeit
und Zögerlichkeit zulässt, als auch Verspätungen, Verzögerungen,
Unterbrechungen und eine allgemeine Abneigung gegen das Altwerden.] n icht
widerstehen. Während die geballte Macht der ehemaligen
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