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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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Ohren. «Oh, ach! Wie unerträglich! Ich halte das nicht aus!» Sie
sank vor Schmerzen in die Knie. Auch die übrigen magischen Kreaturen, denen es
nicht besser erging, wanden sich in unübersehbarer Qual auf dem fliegenden
Teppich, nur der Alte Knabe nicht, der offenbar eine recht hohe Schmerzgrenze
besaß, nachdem er eine ganze Ewigkeit der Gnade des Leber mampfenden Vogels
seines Gottes Zeus ausgesetzt gewesen war. Auch Hund der Bär schien
unbeeindruckt, ebenso Bär der Hund, dem sich die Nackenhaare sträubten, während
er wütend die Zähne fletschte.
    «Du hast
uns von unserem Webstuhl fortgeholt», säuselten die sanften
Klingenstimmen. «Wir drei sind Weber, und am Webstuhl der Tage
wirken wir die Zeitenstränge, verweben das Werden zum Stoff des Seins, das
Erkenntnisstreben zum Gewebe des Gewussten, das Tun in das Tuch des Getanen.
Nun hast du uns von unserem Webstuhl fortgelockt, und die Dinge geraten in
Unordnung. Unordnung aber missfällt uns. Missfallen missfällt uns ebenfalls. So
wurde gleich zweifach unser Missfallen erregt.» Und dann,
nach einer kurzen Pause: «Gib zurück, was du gestohlen
hast, dann lassen wir dich vielleicht am Leben.»
    «Begreift
doch, was um uns herum geschieht», rief Luka zurück. «Könnt ihr nicht sehen, in
welcher Gefahr diese Welt schwebt? Wollt ihr sie nicht retten? Das versuche
ich nämlich, und ihr braucht dafür nichts weiter zu tun, als mir aus dem Weg zu
gehen und mich nach Hause zu lassen...»
    «Uns
interessiert nicht, ob diese Welt lebt oder untergeht», lautete
die Antwort.
    Luka war
schockiert. «Das ist euch egal?», fragte er ungläubig.
    «Mitgefühl
ist nichts für uns», erwiderten die Aalim. «Die Zeit
verstreicht erbarmungslos, ob der Mensch dies nun will oder nicht. Alle Dinge
gehen vorüber, allein die Zeit dauert fort. Wenn diese Welt endet, wird eine
andere Welt weiterbestehen. Glück, Freundschaft, Schmerz, Liebe und Leid sind
flüchtige Illusionen, kaum mehr als Schatten an der Wand. Schonungslos marschieren
die Sekunden dahin, gehen in Minuten über, die Minuten in Tage, die Tage in
Jahre. Mit hat das nichts zu tun; nur dieses Wissen ist Weisheit,
diese Weisheit allein ist Wissen.»
    Die
Sekunden marschierten tatsächlich dahin, und daheim in Kahani verging Raschid
Khalifas Leben. «Die Aalim sind meine Todfeinde», hatte er gesagt, und er hatte
recht gehabt. In Luka wallte ein gewaltiger Zorn auf, der in einem wütenden
Schrei der Liebe zum Ausbruch kam. «Dann verfluche ich euch, so wie ich Captain
Aag verflucht habe!», brüllte er die drei Jos an. «Er hielt Tiere gefangen und
hat sie schrecklich misshandelt, aber, ehrlich gesagt, seid ihr um keinen Deut
besser. Ihr glaubt, die ganze Welt ist euch Untertan und deshalb könnt ihr uns
missachten und quälen und mit uns machen, was ihr wollt, dabei interessiert ihr
euch für nichts außer für euch selbst. Nein, ich verfluche euch, euch alle
drei! Wer seid ihr denn überhaupt? Jo-Hua, die Vergangenheit ist vorüber und
wird niemals wiederkehren, falls sie aber dennoch weiterlebt, dann allein in
unseren Erinnerungen - und in den Erinnerungen der Elefantenvögel natürlich
-, jedenfalls steht sie ganz bestimmt nicht da oben auf der Brustwehr dieser
Wolkenburg mit einer dämlichen Kapuze über dem Kopf. Und was Jo-Hai angeht,
nun, die Gegenwart gibt es kaum, das weiß selbst ein Junge in meinem Alter.
Mit jedem Augenblinzeln geht sie in die Vergangenheit über, und nichts, was
derart, na ja, temporär ist, kann viel Macht über mich
haben. Und Jo-Aiga? Die Zukunft? Ach, verschont mich. Die Zukunft ist ein
Traum; niemand weiß, wie sie wird. Gewiss ist nur, dass wir - Bär, Hund, meine
Familie, meine Freunde - sie zu dem machen, was immer sie sein wird, ob nun gut
oder schlecht, traurig oder froh, jedenfalls brauchen wir ganz gewiss nicht
euch dazu, uns zu sagen, wie sie ist. Zeit ist keine Falle, ihr Blender. Sie ist
nur die Straße unter meinen Füßen, und im Moment habe ich es wirklich eilig,
also geht mir aus dem Weg. Hier haben alle viel zu lange Angst vor euch gehabt.
Möge es mit der Angst jetzt vorbei sein, und ... und ... und mögt ihr zur
Abwechslung mal eine Weile auf Eis gelegt werden. Jetzt lasst mich endlich in
Frieden. Ich ... ich schnipse mit den Fingern gegen euch an.»
    So, jetzt
war es heraus. Er hatte der Macht der Zeit getrotzt, so wie es seine Mutter
(und später sein Vater) vorhergesagt hatte, doch alles, was ihm am Ende blieb,
war seine erst kürzlich erworbene

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