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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Himmel leuchtete rot, es roch brandig. Aber das Wohnhaus stand noch. Mathilde lief zur Anhöhe hinauf. In der Stadt brannte das Rathaus. Menschen liefen hin und her und versuchten zu löschen. Der feuerspeiende Drache aber war weitergezogen.
    Am nächsten Tag kam die Nachhut der Roten Armee. Die zog nicht vorbei.
    Als die ersten Panjewagen und die Männer auf den zottigen Pferden im Dorf auftauchten, stand Elisabeth auf, nahm Lida mit nach oben und versteckte sie in einem Verschlag am Ende des langen Flurs mit den Dienstbotenzimmern. Mathilde setzte sich zu Gudrun an den Küchentisch und wartete darauf, daß die Tür aufflog. Sie machte sich keine Illusionen. Keine von ihnen hatte noch welche.
    Die Männer grinsten, als sie einer nach dem anderen in den Raum traten. Bauernsöhne mit roten Gesichtern und schlechten Zähnen, breitschädelig und kurzgeschoren. Einer fuchtelte mit dem Gewehr, die anderen trugen ihres an einer Schnur über der Schulter. Der Anführer hielt den Frauen seinen Unterarm entgegen, an dem er vielleicht ein Dutzend Armbanduhren trug. Dann deutete er auf Gudrun und sagte triumphierend: »Frau!«
    Die Luft war mit einem Mal zum Ersticken. Es roch nach Schweiß und Urin und Pferden und Alkohol. Mathilde verabscheute sich für die Hilflosigkeit, die sie sitzen bleiben ließ, während Gudrun in Panik nach einem Fluchtweg suchte.
    Und dann sprach eine vertraute Stimme fremde Laute. Elisabeth stand in der Tür. Sie stellte sich vor die Männer hin und sagte in höflichem Ton etwas auf Russisch, das sogar die Rotarmisten zu beeindrucken schien. Für eine Weile jedenfalls. Denn wenig später fühlte auch Mathilde eine Hand auf ihrem Arm, einer der Burschen zog sie hoch, sein nach Fusel riechender Atem nahm ihr die Luft. Der Anführer mit den Uhren zerrte an Gudrun. Dann erstarrte die Szene.
    »Wieso sprechen Sie Russisch?« Der Mann, der hinter den Soldaten die Küche betreten hatte, war jung, blaß und trug eine Uniform mit viel Lametta. Sein Deutsch klang weich. Er nannte sogar seinen Namen, während er den Kopf leicht neigte. Mathilde verstand das Wort »Major«, mehr nicht.
    Elisabeth sah ihn fast demütig an. Die anderen Soldaten taten so, als seien sie nicht übermäßig beeindruckt von ihrem Vorgesetzten, aber der Mann neben Mathilde lockerte seinen Griff.
    »Ich wurde jahrelang von einer bourgeoisen dekadenten russischen Familie als Küchenmagd ausgebeutet, Genosse Major.«
    Der Major blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an. Dann ließ er sich auf einen der Küchenstühle fallen und winkte seinen Begleitern. Einer der beiden packte aus: Brot, Schinken, Wodka. Gudrun rieb sich den Arm und sah verständnislos von einem zum anderen.
    »Setz dich, Genossin«, sagte der Major und zog sie mit einem kräftigen Ruck auf den Stuhl neben sich. Auf seinen Wink hin setzte sich Mathilde an die andere Seite. Elisabeth holte Teller, Besteck, Gläser. Die Männer aßen gierig; dazu tranken sie Wodka, in großen Zügen, mit Ernst und ohne erkennbares Vergnügen. Nachdem die erste Flasche geleert war, durften auch die Frauen essen und trinken, während der Major sie einer eingehenden Befragung über ihr Verhältnis zum Faschismus unterzog, die zufriedenstellend ausgefallen sein mußte, denn er nickte immer häufiger und lächelte. Irgendwann holte Gudrun die Fotos ihrer Kinder hervor, die sie stets bei sich trug. Der Major betrachtete jedes einzelne. Mathilde sah mit Verwunderung, daß seine Züge weich wurden.
    Die Männer tranken. Elisabeth hielt sich im Hintergrund. Gudrun weinte. Einer der Begleiter des Majors, der wie Dschingis Khan aussah, hatte den Kopf auf die Tischplatte gelegt und zu schnarchen begonnen.
    »Könnten Sie sich vorstellen, mich ein wenig besser kennenzulernen?« fragte der Major irgendwann, ohne Mathilde dabei anzusehen. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Wie ein rettender Engel stand Elisabeth neben ihnen. »Ihr Zimmer ist gleich im ersten Stock, Herr Major«, sagte sie leise. Der Mann seufzte und stand auf. Dann hielt er Mathilde die Hand hin: »Ich heiße Fedor«, sagte er.
    Die Russen hinterließen den Geruch nach Wodka und Schweiß. Draußen im Hof wurde gesungen, jemand spielte Geige dazu. Mathilde sah durchs Fenster Männer an Lagerfeuern sitzen, reden, essen, trinken, im Hintergrund Pferde und Kühe. »Geh ins Bett«, sagte Elisabeth leise. »Ich paß schon auf.«
     
    Am nächsten Morgen war Elisabeth noch wach und die Ruhe selbst, während Gudrun sich theatralisch die

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