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Russisches Poker

Russisches Poker

Titel: Russisches Poker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sein!«
    »Sehen Sie sich ihr Ohr an. Ich sagte Ihnen schon, daß die Ohren jedes Menschen einmalig sind. Da, das angewachsene rosige Ohrläppchen, die gesamte Kontur von idealem Oval, das kommt selten vor, doch das charakteristischste Detail ist der etwas vorspringende Tragusknorpel. Sie ist es, Tulpow, Ihre georgische Fürstin. Also ist der Pikbube tatsächlich noch frecher, als ich dachte.«
    Der Hofrat schüttelte den Kopf, gleichsam verwundert über die Rätsel der menschlichen Natur. Dann sagte er kurz, abgehackt: »Die besten Agenten. Unbedingt Michejew, Subbotin, Sejfullin und weitere sieben Mann. Sechs Schlitten und so gute Pferde, daß Jeropkin sie mit seiner Troika nicht abhängen kann. Strengste Konspiration nach dem Motto ›Feinde ringsum‹, damit die Observierung nicht nur dem Objekt, sondern auch Außenstehenden verborgen bleibt. Höchstwahrscheinlich ist auch der Pikbube hier irgendwo. Von Angesicht kennen wir ihn ja nicht, und seine Ohren hat er uns noch nicht gezeigt. Marsch in die Nikitskaja! Tempo!«
    Anissi blickte wie verzaubert auf den schlanken Hals des »Knaben« und auf das ideal ovale Ohr mit dem »Tragusknorpel«,und ihm schlichen Gedanken in den Kopf, die in der Kirche und zumal in den Großen Fasten ganz unzulässig waren.
    Er fuhr zusammen, bekreuzigte sich und drängte sich zum Ausgang durch.
    Jeropkin betete bis in die Nacht in der Kirche und kehrte erst nach zehn in sein Haus zurück. Vom Dach des Nachbarhauses, wo der Agent Lazis bibberte, war zu sehen, daß im Hof eine geschlossene Schlittenkutsche angespannt wurde. Jeropkin schien trotz der späten Stunde nicht an Nachtruhe zu denken.
    Aber Fandorin und Anissi waren auf alles vorbereitet. Von Jeropkins Haus in der Mjortwy-Gasse gab es drei Fahrtrichtungen: zur Kirche Mariä Himmelfahrt auf den Gräbern, zur Starokonjuschenny-Gasse und in die Pretschistenka, und an jeder der drei Kreuzungen standen zwei unauffällige Schlitten.
    Die Schlittenkutsche des Staatsrats Jeropkin war niedrig und mit schwarzem Tuch ausgeschlagen. Sie passierte das stabile Eichentor um viertel nach elf und fuhr in Richtung Pretschistenka. Auf dem Bock saßen zwei kräftige Burschen im Halbpelz, und hinten auf dem Wagentritt stand der Schwarzbart.
    Der erste der beiden Schlitten an der Ausfahrt zur Pretschistenka nahm gemächlich die Verfolgung auf. Die anderen fünf schlossen sich an und folgten der »Nummer eins« (so hieß die vorderste Staffel der visuellen Observierung im Fachjargon) in respektvollem Abstand. Die Nummer einshatte hinten ein rotes Licht, das für die folgenden Schlitten weithin zu sehen war.
    Fandorin und Anissi saßen in einem leichten Schlitten, der hundert Meter hinter der roten Laterne fuhr. Die übrigen »Nummern« waren zu einer Kette auseinandergezogen. Da gab es einen Bauernschlitten, eine Fuhrmannstroika, ein priesterliches Zweigespann; alle Fahrzeuge waren fest gebaut und hatten Stahlkufen, die Pferde sahen unscheinbar aus, waren jedoch flott und ausdauernd.
    Beim Einbiegen in die Uferstraße des Moskwa-Flusses blieb die »Nummer eins« entsprechend der Instruktion zurück, auf ein Signal von Fandorin übernahm »Nummer zwei« die Führung, und »Nummer eins« setzte sich ans Ende. Genau zehn Minuten lang führte die »Zwei«, dann bog sie links ab und machte der »Nummer drei« Platz.
    Das strikte Befolgen der Instruktion war in diesem Falle keineswegs überflüssig, denn der schwarzbärtige Räuber auf dem Wagentritt döste nicht, sondern paffte eine Zigarre, und das Wetter machte dem dickfelligen Kerl nichts aus, er trug nicht mal eine Mütze auf seinem zotteligen Kopf, obwohl es windig war und große nasse Flocken wirbelten.
    Hinter der Jausa bog die Schlittenkutsche nach links ab, »Nummer drei« fuhr weiter geradeaus und machte der »Vier« Platz.
    So folgten sie dem Objekt bis zu dessen Ziel, dem Nowopimen-Kloster, dessen Mauern mit den gedrungenen Wachtürmen in der Nacht weiß schimmerten.
    Von weitem war zu sehen, wie sich nach und nach fünf Gestalten von dem Schlitten lösten. Die letzten beidenschleppten etwas, einen Sack, vielleicht auch einen menschlichen Körper.
    »Eine Leiche!« flüsterte Anissi. »Ob wir zugreifen?«
    »Nicht so schnell«, antwortete der Chef. »Wir müssen erst klarsehen.«
    Er verteilte die Schlitten mit den Agenten auf alle strategischen Richtungen und winkte erst dann Anissi, ihm zu folgen.
    Vorsichtig näherten sie sich der verlassenen Kapelle und gingen um sie herum. Auf der anderen

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