Russisches Poker
Zimmerchen, hörte Sonja wimmern, vor dem Fenster fiele nasser Schnee, und er hätte es eilig, zur Arbeit zu laufen, um als Bote Papiere auszutragen.
Hofrat Fandorin, als hätte er sich plötzlich besonnen, sagte schuldbewußt: »Ach ja, ich habe noch gar nicht die Konditionen genannt, bitte entschuldigen Sie. Als erstes erhalten Sie den Rang eines Kollegienregistrators. Ihr Posten wird einen langen Namen haben: ›Persönlicher Assistent des Beamten für Sonderaufträge beim Moskauer Generalgouverneur.‹ Gehalt: fünfzig Rubel monatlich und noch irgendwelche Quartalszuwendungen, ich e-erinnere mich nicht genau. Sie bekommen Umzugsgeld und eine Dienstwohnung, denn ich muß Sie in meiner Nähe haben. Der U-Umzug kommt Ihnen vielleicht ungelegen, aber ich verspreche Ihnen, Ihre Wohnung wird bequem sein und sich für Ihre familiären Umstände bestens eignen.«
Das bezieht sich auf Sonja, dachte Anissi, und er hatte recht.
»Da ich … hm … zum Junggesellenleben zurückkehre«, der Chef machte eine unbestimmte Geste, »habe ich Masa angewiesen, Dienerschaft zu besorgen – eine K-Köchin und ein Stubenmädchen. Da Sie in der Nachbarschaft wohnen werden, können die beiden auch Ihnen behilflich sein.«
Bloß nicht heulen, dachte Anissi in Panik, dann müßte ich im Erdboden versinken.
Fandorin breitete die Arme aus.
»Womit könnte ich Sie sonst noch locken? Wollen Sie …«
»Nein, Euer Hochwohlgeboren!« rief, sich besinnend, Anissi. »Ich will nichts weiter! Es ist auch so schon mehr als genug! Ich habe ja nicht geschwiegen, um …« Er stockte, wußte nicht weiter.
»Ausgezeichnet.« Fandorin nickte. »Also sind wir uns einig. Und nun Ihre erste Aufgabe: Für alle Fälle – denn wer sich selbst schützt, den schützt Gott – verfolgen Sie noch ein-zwei Wochen die Zeitungen. Außerdem werde ich veranlassen, daß Ihnen täglich der ›Polizeibericht über die Vorkommnisse in der Stadt‹ zur Durchsicht zugeschickt wird. Achten Sie auf alles Auffällige, Ungewöhnliche, Verdächtige und melden Sie es mir. Womöglich ist dieser Momus noch dreister, als wir es uns v-vorstellen?«
Zwei Tage nach diesem historischen Gespräch, das eine entscheidende Wende in Anissis Leben einleitete, saß dieser im häuslichen Arbeitszimmer seines Chefs am Schreibtisch, sah seine Randbemerkungen in den Zeitungen und im Polizeiberichtdurch und bereitete sich auf seinen Vortrag vor. Es war schon die zwölfte Stunde, aber Fandorin war noch nicht aus seinem Schlafzimmer aufgetaucht. In letzter Zeit war er irgendwie schwermütig und ungesellig und zeigte wenig Interesse für Anissis Funde. Schweigend hörte er zu, winkte ab, sagte: »Sie können gehen, Tulpow. Für heute b-brauche ich Sie nicht mehr.«
Jetzt schaute Masa bei Anissi herein, um zu tuscheln.
»Gans sslecht«, sagte er. »Nachs nich sslafen, am Tag nich essen, auch kein Zazen und kein Rensju machen.«
»Was macht er nicht?« fragte Anissi ebenfalls flüsternd.
»Rensju, das …« Der Japaner machte mit den Händen schnelle, zuschlagende Bewegungen und schleuderte das Bein mit einem Schwung höher als die Schulter.
»Ah, japanische Gymnastik«, erriet Anissi, der sich entsann, daß der Hofrat und sein Kammerdiener früher am Vormittag, während er im Arbeitszimmer die Zeitungen las, in den Salon gegangen waren, Tische und Stühle verrückt, lange getrampelt und gepoltert und immer wieder spitze Schreie ausgestoßen hatten.
»Und Zazen, das so«, erklärte Masa weiter, plumpste auf den Fußboden, zog die Füße unter den Körper und starrte mit leerem Blick auf ein Stuhlbein. »Verstehn, Tuli-san?«
Als Anissi verneinend den Kopf schüttelte, erklärte der Japaner nichts weiter, sagte nur besorgt: »Muß Weib haben. Mit Weib sslecht, ohne Weib noch sslechter. In gutes Boldell gehn, mit Madame reden.«
Anissi hatte auch schon gedacht, daß Fandorins Melancholie mit dem Verschwinden der Gräfin Addy zusammenhing,aber von einer so radikalen Maßnahme wie der Zuhilfenahme einer Puffmutter sollte seines Erachtens doch Abstand genommen werden.
Als das Konsilium im Arbeitszimmer noch in vollem Gange war, kam Fandorin herein, im Hausmantel, eine qualmende Zigarre zwischen den Zähnen. Er schickte Masa nach Kaffee und fragte Anissi gelangweilt: »Na, Tulpow, was gibt’s bei Ihnen Neues? Wollen Sie mir wieder Reklame für neue technische Wunder v-vorlesen? Oder den Bericht über den Raub einer bronzenen Leier vom Sarg des Grafen Chwostow?«
Anissi wurde verlegen, denn
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