Der Zauberstein von Brisingamen
Eine Sage aus Alderley
Vor langer, langer Zeit ritt früh am Morgen eines stillen Oktobertags ein Bauer aus Mobberley über den Alderley-Berg zum Markt nach Macclesfield.
Es war ein trüber, aber milder Morgen; leichter Nebelschleier lag über seinem Weg; der Wald lag stumm; ein schöner Tag kündete sich an. Der Bauer war guter Dinge und ließ sein Pferd, eine milchweiße Stute, frei laufen – denn er wollte, dass es noch frisch auf dem Markt ankäme. Heute Abend wollte er als ein reicher Mann nach Mobberley zurückwandern. Und so, noch auf dem Hügel, aber mit seinen Gedanken bereits in der Stadt, kam der Bauer zu einem Ort, der das Diebsloch genannt wurde. Hier blieb das Pferd stehen und gehorchte weder Sporen noch Zügeln mehr. Es wusste wohl, was Sporen und Zügel, was seines Herrn strenge Befehle bedeuteten, doch die Augen, die es bannten, waren mächtiger als all dies. Mitten auf dem Pfad, wo vorher gewiss niemand gewesen, stand ein alter, hoch gewachsener Mann mit langem Haar und langem Bart.
«Ihr wollt diese Stute verkaufen», sagte er. «Ich bin hier, sie Euch abzukaufen. Welchen Preis verlangt Ihr?»
Der Bauer aber wollte nur auf dem Markt verkaufen, wo er unter vielen Angeboten würde wählen können; daher hieß er den Fremden barsch den Weg freizugeben und ihn vorbeizulassen; denn wenn er noch länger hier verweile, käme er zum Markt zu spät.
«So geht Eures Wegs», sagte der Alte. «Niemand wird kaufen. Und ich werde Euch hier bei Sonnenuntergang erwarten.»
Im nächsten Augenblick war er verschwunden und der Bauer wusste nicht zu sagen, wie und wohin.
Der Tag war warm, die Schenke kühl, und alle, die die Stute sahen, waren sich einig, sie sei ein prächtiges Tier, der Stolz von Cheshire, eine Königin unter den Pferden; und jedermann sagte, es gebe heuer kein schöneres Tier in der Stadt. Doch niemand machte ein Kaufangebot. Als der Himmel sich im Westen rötete, ritt ein müder Bauer mit mürrischer Miene aus Macclesfield.
Am Diebsloch wollte die Stute nicht mehr weiter: Vor ihnen stand der Fremde. Da dem Bauern nun jedes Angebot besser als gar keines schien, stimmte er dem Handel zu.
«Wie viel möchtet Ihr geben?», fragte er.
«Genug. Kommt mit mir.»
Sie zogen vorbei an Seven Firs und Goldenstone, zum Stormy Point und nach Saddlebole. Und dann machten sie Halt vor einem mächtigen Felsblock, der in den Abhang gebettet war. Der Alte hob seinen Stab und berührte damit leicht den Felsen, der sich darauf mit Donnerlärmen auftat.
Der Bauer fiel darob von seinem scheuenden Pferd und flehte den andern auf Knien an, Gnade mit ihm walten und ihn unversehrt ziehen zu lassen. Das Pferd solle nur bleiben, er wolle es nicht mehr, wenn er nur mit seinem Leben davonkomme.
Der Zauberer, denn ein solcher war er, gebot dem Bauern aufzustehen. «Ich verspreche Euch sicheres Geleit», sagte er.
«Habt keine Furcht; Ihr werdet hier wahrhafte Wunder zu sehen bekommen.»
Hinter dem Felsen befand sich ein eisernes Tor. Dies ward vom Zauberer geöffnet, der alsdann den Bauern und sein Pferd durch einen schmalen Gang tief in den Berg führte. Ein gedämpftes, aber schönes Licht wies ihnen den Weg. Am Ende des Gangs traten sie in eine Höhle, und dort bot sich den Blicken des Bauern ein wunderliches Bild: hundertundvierzig Ritter in silberner Rüstung und bei jedem bis auf einen stand eine milchweiße Stute.
«Hier liegen sie im Zauberschlaf», sagte der Magier, «bis der Tag kommt – und kommen wird er –, an dem England in schrecklichster Gefahr sein wird und Englands Mütter bittere Tränen vergießen werden. Dann werden sie aus diesem Berg reiten und nach einer dreimal verlornen, dreimal gewonnenen Schlacht in der Ebene den Feind ins Meer jagen.»
Stumm vor Scheu folgte der Bauer dem Zauberer in eine andere Höhle, in der Berge von Gold, Silber und kostbaren Steinen auf dem Boden verstreut lagen.
«Nehmt, so viel Ihr tragen könnt, als Entgelt für Euer Pferd.»
Nachdem der Bauer seine weiten Taschen, sein Hemd und seine Hände mit Juwelen beladen hatte, trieb ihn der Zauberer hastig den langen Gang hinauf und stieß ihn vor das Tor. Der Bauer strauchelte, hörte erneut das Donnergrollen und blickte auf: Über ihm war nichts als der nackte Fels. Er war allein auf dem Berg, nahe beim Stormy Point. Der Vollmond schien hell am Himmel – es war Nacht.
Und obwohl er in späteren Jahren immer wieder den Ort zu finden suchte, sahen weder er noch sonst jemand nach ihm das eiserne Tor je wieder.
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