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Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender

Titel: Rywig 09 - Ich zähl die Tage im Kalender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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nach Tjeldsund, zu Muttis Küche. Jetzt würde sie gerade beim Mittagkochen sein. Sie würde ihre kleinsten Kochtöpfe im Gebrauch haben, und sie würde nur für zwei Personen kochen. Ich war ein paar Tage zu Hause gewesen, als Beate aus England zurückkam. Ich hatte vernünftige Gespräche mit Vati gehabt - Gespräche finanzieller Art sozusagen. Und mit Mutti über alles mögliche gesprochen, angefangen bei warmer Unterwäsche - „Denk an das feuchte Klima, Heidilein, zieh dich warm an!“ - bis zu den Gefahren, die einem unerfahrenen Mädchen in einem großen, fremden Land drohen. „Sei vorsichtig im Stadtverkehr, Kindchen!“ - „Laß dich nie mit fremden Menschen ein, Heidilein!“
    Jetzt stand Mutti in der Küche, vielleicht schälte sie gerade die Kartoffeln, heut kam der Fischmann, dann gab es bestimmt Kabeljau oder gebratene Heringe, und Mutti sammelte all die Fischabfälle, um sie der Katze des Nachbarn zu geben.
    Wo würden Muttis Gedanken sein? Vielleicht - ja bestimmt, bei ihrer Jüngsten!
    Die besagte Jüngste mußte plötzlich einen Kloß im Hals runterschlucken. Dann packte ich die restlichen Brote zusammen und schraubte den Deckel auf die Thermosflasche. Worauf ich meinen Briefblock rausholte und anfing, Mutti und Vati zu schreiben. Ich würde den Brief gleich morgen früh in Kiel einstecken, dann würden sie wissen, daß ich heil angekommen war.
    Ich war ins Schreiben vertieft, als Frau Segermann zurückkam.
    „Wissen Sie was“, sagte sie, „wir sind gleich aus dem Oslofjord raus, dann kann es unruhig werden, das Kattegat ist oft unfreundlich. Ich lege mich hin und würde Ihnen raten, dasselbe zu tun, es sei denn, Sie sind garantiert seefest.“
    „Ich weiß es nicht“, gestand ich. „Dies ist meine erste längere Seereise.“
    „Dann kriechen Sie ins Heiabettchen. Oder wollten Sie essen gehen?“
    „Ich habe schon gegessen, ich habe so viele Brote mit, daß sie für eine Woche reichen könnten!“
    „Dann essen Sie tüchtig, es gibt nichts Schlimmeres, als tagelang von ,Hasenbroten’ leben zu müssen!“
    „Es sind keine ,Hasenbrote’“, sagte ich verwundert. - „Es sind Scheiben vom Hammelbraten.“ Frau Segermann lachte.
    „Ach, Sie können ja nicht wissen - ,Hasenbrote’, das ist so ein norddeutscher Ausdruck für übriggebliebene Brote von einer Reise oder einem Ausflug oder von einer Party - Sie wissen, solche halbvertrockneten Brote, die man aus Pflichtgefühl am folgenden Tag zum Frühstück ißt!“ Nun war ich im Bilde.
    „Wir nennen sie ,Schaukelpferde’“, erklärte ich. „Wenn die Brotscheiben so trocken werden, daß sie sich nach oben biegen. Na also! Nichts wie essen, es wäre noch schöner, wenn ich morgen am Frühstückstisch die ,Hasenbrote’ essen müßte, was würde meine Wirtin denken?“
    „Sie haben schon ein Zimmer?“ fragte Frau Segermann. Sie schlüpfte aus ihrem Rock und schlug die Bettdecke zur Seite.
    „O ja, das habe ich.“
    „Und sogar mit Frühstück, wie es mir scheint?“ Sie kroch ins Bett und zupfte das Kissen bequem zurecht.
    „Mit Vollpension sogar!“
    „Das wird aber eine teure Geschichte werden“, meinte Frau Segermann. - „Ich kenne mich einigermaßen mit den Mietpreisen aus.“
    „Ich werde Ihnen sagen, was ich bezahlen soll: Für das Zimmer gar nichts und für das Essen hundert Mark im Monat.“
    Frau Segermann richtete sich vor lauter Staunen im Bett auf.
    „Was? Hören Sie mal, das geht nicht mit rechten Dingen zu - ach so, natürlich, Sie werden bei Verwandten wohnen.“
    „Nein“, sagte ich. „Aber ich kann Ihnen gern erzählen, wie es gekommen ist.“
    Das tat ich auch. Frau Segermann horchte mit kugelrunden Augen.
    „So was gibt es doch gar nicht!“ sagte sie zuletzt. „Das ist ja unmöglich! Solche Menschen gibt es nicht!“
    „Doch“, erwiderte ich. „Die gibt es!“
    „Wenn Sie bloß da nicht reingefallen sind. ich denke an meine Tochter, sie studierte auch und hatte das Glück, ein sehr billiges Zimmer zu kriegen. Aber was glauben Sie, mußte sie dann alles tun? ,Ach, liebes Fräulein Segermann, ich habe es heut so eilig, gießen Sie mir bitte die Fensterblumen’ - oder ,ob Sie vielleicht beim Kaufmann vorbeigehen, wenn Sie nach Hause kommen’ - ,hätten Sie etwas dagegen, den Hund spazierenzuführen’ - ,ach, Sie haben junge Beine, könnten Sie bitte dieses Paket zur Post bringen.’ So ging es den lieben, langen Tag! Wo wohnt nun Ihre einmalige Vermieterin? Ach so, außerhalb - na, dann hat sie

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