Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
drückte meine Hand.
„Gott segne dich, meine kleine Allegra“, sagte sie leise.
„Schaffen Sie es allein?“ fragte mich der Arzt, als Momo so schwach geworden war, daß sie das Bett nicht mehr verlassen konnte.
„Ja, Herr Doktor“, sagte ich. „Erstens habe ich einen Kursus in Krankenpflege gemacht, zweitens habe ich meine Großmutter sehr lieb und werde ganz bestimmt dafür sorgen, daß sie alles hat was sie braucht.“
„Sie sind aber sehr jung“, meinte der Arzt. „Wie alt sind Sie eigentlich?“
„Siebzehn. Beinahe so alt wie meine Großmutter war, als sie heiratete. Und ich bin kerngesund und habe gute Kräfte!“
„Dann lassen wir unsere Patientin noch zu Hause. Sonst hätte ich sie jetzt ins Krankenhaus eingewiesen.“
„Bitte, bitte, nicht, Herr Doktor! Sie ist ja so glücklich, daß sie in ihren eigenen vier Wänden bleiben darf.“
„Gut. Und Sie halten sich genau an die Diätliste, die ich Ihnen gegeben habe?“
„Haargenau, Herr Doktor. Und ihre Medikamente kriegt sie auf die Minute pünktlich. Mein Ehrenwort!“
„Dann lassen wir es so. Aber wenn es Ihnen zuviel wird oder wenn Sie Probleme haben, geben Sie mir gleich Bescheid. Das müssen Sie mir versprechen!“
Ich versprach es.
So durfte Momo in ihrem eigenen Bett bleiben, von ihren Bildern und Blumen umgeben. Ich schaltete alle persönlichen Zukunftspläne aus und stellte mich hundertprozentig auf Krankenpflege ein. Es war kein Opfer für mich. Es wäre furchtbar für mich gewesen, jetzt Momo zu verlassen und sie der Pflege fremder Menschen zu überlassen.
So gingen die Wochen dahin, meine Momo wurde immer schwächer, das liebe Gesicht wurde so klein und dünn. Bevor der Arzt es mir in schonenden Worten sagte, hatte ich es verstanden: Meine geliebte Momo würde nie gesund werden. Sie hatte eine unheilbare Krankheit.
Die letzte Woche war ich nicht mehr allein mit Momo. Mutti kam, und wir wechselten uns bei der Nachtwache ab.
Dann kam der Tag, als unsere Momo für immer ihre guten, lieben Augen schloß. Ich saß an ihrem Bett und hielt ihre Hand.
Müde, verweint, und doch von einer großen Dankbarkeit erfüllt, fuhr ich dann mit Mutti zusammen nach Hause.
Ja, ich war unsagbar dankbar, weil es mir vergönnt wurde, diese letzten Monate zusammen mit Momo zu verbringen, daß ich sie pflegen durfte, daß ich immer dasein konnte, wenn sie mich brauchte.
Die letzten verständlichen Worte, die sie sprach, waren an mich gerichtet.
„Tack, min kära Ulla flicka“, flüsterte sie.
Diese Worte: „Danke, mein liebes kleines Mädchen“, kann ich noch jederzeit in meinem Inneren hören.
Meine Eltern wollten, daß ich mich ein paar Monate ausruhen sollte, denn so lieb mir auch die Arbeit bei Momo gewesen war -angestrengt hatte ich mich und mußte wieder zu Kräften kommen.
Und im März fing ich dann an, Arbeit zu suchen. Bis jetzt also vergeblich.
Ich faltete den Bogen mit meinem Lebenslauf zusammen. Der Bus hielt. Fünf Minuten später war ich zu Hause.
Schon wieder ohne Arbeit.
Ein Jahr zur Überbrückung
Zwei Tage später saß ich wieder in einem Wartezimmer, mit Lebenslauf und Zeugnissen in der Hand. Diesmal bei einer Kinderärztin. Ich war allein im Zimmer. Der letzte Patient war bei Frau Doktor. Sie hatte anscheinend die Bewerberinnen einzeln bestellt, nachdem wir uns per Telefon angemeldet hatten.
Eine Tür wurde auf- und wieder zugemacht. Schritte auf dem Flur. Eine helle Kinderstimme: „Mutti, Tante Doktor sagte, daß ich tapfer war! Es war doch fein, daß ich nicht weinte!“
Ich drückte die Daumen. Oh, wenn ich bloß hier angenommen werden würde! Nichts wäre mir lieber als eine Kinderpraxis! Ich kann gut mit Kindern umgehen - und mit alten Leuten. Vor jungen, erwachsenen Menschen habe ich oft ein bißchen Angst.
Jetzt kam eine junge Helferin und führte mich ins Sprechzimmer. Am Schreibtisch saß eine Dame von - ja, vielleicht um die fünfunddreißig. Eine Schönheit war sie eigentlich nicht, aber sie hatte ein Paar wache, kluge Augen und einen Ausdruck - ja, wie soll ich es erklären - es war, als ob ihr Gesicht immer zu einem freundlichen kleinen Lächeln bereit war.
Ein Gesicht, das mir Ruhe und ein Gefühl des Vertrauens gab. Ein Paar Augen, die mir den Mut gaben, um alle Fragen ehrlich zu beantworten.
Sie bat mich, Platz zu nehmen, und ich reichte ihr meine Papiere, die sie vorläufig gar nicht anguckte.
„Sie sind also Allegra Walther. Wie kommen Sie bloß zu dem hübschen Namen?“
Dann
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