Sacramentum
gab.
»Du siehst müde aus«, sagte sie. Ihre Augen waren noch immer scharf.
»Es geht schon. Ich brauche nur etwas Kaffee.«
Yunus griff nach einem der Kaffeegläser auf dem Tresen, verschätzte sich und stieß es zu Boden. Es prallte ab und rollte davon; wundersamerweise war es nicht zerbrochen.
»Leg dich lieber hin, bevor du noch etwas kaputtmachst«, zischte Tante Elmas und blickte über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass ihre anderen Angestellten nicht mithörten. »Ich werde dich schon rufen, wenn ich dich brauche.«
Yunus wollte dagegen protestieren, besann sich dann jedoch eines Besseren. Tante Elmas war nur schwer davon zu überzeugen, ihre Meinung zu ändern, und im Moment fehlte ihm einfach die Kraft dafür. Vielleicht war ein kleines Nickerchen ja wirklich das, was er jetzt brauchte. Yunus hob das Glas auf, stellte es wieder auf den Tresen und duckte sich durch den Vorhang, durch den es in seine illegale Wohnung ging.
Es war Tante Elmas’ Idee gewesen, dass er hier auch schlafen sollte, nachdem er einen Job bei der Reinigungskolonne bekommen hatte. Sie meldete ihn abends im Café ab, und der Boss der Reinigungskolonne meldete ihn frühmorgens wieder an, sodass es zumindest so aussah, als hätte er über Nacht die Altstadt verlassen. In Wahrheit hatte er jedoch seit über einem Monat keinen Fuß mehr aus der Altstadt gesetzt, noch nicht einmal während der Evakuierung nach dem Beben. Seine Mahlzeiten waren Teil seiner Bezahlung im Café, und im ersten Stock gab es einen Waschraum; mehr brauchte er nicht. Das war einfach perfekt, und es hatte ihm ein Vermögen an Fahrkosten erspart. Außerdem gefiel ihm die Vorstellung, dass er abgesehen von den Mönchen vermutlich der erste Mensch seit über hundertfünfzig Jahren war, der hier oben lebte. An der Universität wollte er Geschichte und Tourismus studieren; also war das etwas, das ihn ohnehin ansprach.
Yunus erreichte die Dachkammer und ließ sich auf das kleine Bett fallen, das hinter einer Wand von Kartons verborgen war. Sein Zimmer war eine drei Quadratmeter große Zelle, die größtenteils mit unverderblichen Dingen vollgestopft war, die man in einem Café so brauchte. Über ihm war ein Dachfenster so groß wie ein Taschenbuch, durch das eine vernachlässigbare Menge frischer Luft und auch Licht hereinkam. Außerdem konnte er von hier aus die Zitadelle sehen, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Manchmal, mitten in der Nacht und wenn der Wind richtig stand, konnte er den Rauch vom Berg riechen und das Leben hinter seinen Mauern hören. Und auch das gefiel ihm. Es vermittelte ihm das Gefühl, Teil von etwas sehr Altem und Mysteriösem zu sein … Obwohl er in letzter Zeit Geräusche gehört hatte, die doch ein wenig beunruhigend gewesen waren. Es hatte wie ein furchtbares, gequältes Heulen geklungen. Das hatte ihm nun ganz und gar nicht gefallen, vor allem angesichts der Tatsache, dass er nachts immer mutterseelenallein hier war.
Yunus schloss die Augen und versuchte, sich auszuruhen. Im Zimmer war es wärmer als für gewöhnlich. Normalerweise schlief Yunus wischen zwei und sechs, der kühlsten Zeit des Tages, und den Rest der Zeit arbeitete er. Er fragte sich, wie heiß es hier wohl im Hochsommer werden würde. Natürlich konnte er immer noch ausziehen, wenn es unerträglich wurde, oder in einem der unteren Stockwerke schlafen. Doch erst einmal würde er das hier durchstehen und sich etwas in die Ohren stopfen, wenn wieder so unheimliche Geräusche aus dem Berg kamen.
Yunus atmete den staubigen Geruch des alten Gebäudes ein, der sich mit den Aromen aus dem Café mischte. Er roch frisch gerösteten Kaffee und frisch gepresste Orangen. Die Düfte waren so stark, als wären sie hier bei ihm im Zimmer … was natürlich unmöglich war, zumal Tante Elmas in ihrem Café eigentlich gar keinen Orangensaft verkaufte.
Der Duft musste also von woandersher kommen, vielleicht von der Zitadelle …
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D ANKSAGUNG
Wenn Sie die Danksagung für Sanctus gelesen haben, dann erinnern Sie sich vielleicht daran, wie ich den Schreibprozess bei einem Erstlingswerk beschrieben habe, dass es so ähnlich sei, als organisiere man eine große Party, ohne zu wissen, ob überhaupt jemand kommt. Doch Halleluja, die Leute sind gekommen, und so möchte ich mich zunächst einmal vor jenen verneigen und den Hut ziehen, die Sanctus gelesen und mir dann und wann einen schönen Tag beschert haben, indem sie mich auf Twitter kontaktiert
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