Sämtliche Werke
übertriebene Geringschätzung zuteil wird, während jeder nach Reichtum lechzt.
Ich möchte, auf das Thema zurückkommend, womit ich diesen Artikel begonnen, hier ganz besonders andeuten, wie es für den Kommunismus ein unberechenbar günstiger Umstand ist, daß der Feind, den er bekämpft, bei all seiner Macht dennoch in sich selber keinen moralischen Halt besitzt. Die heutige Gesellschaft verteidigt sich nur aus platter Notwendigkeit, ohne Glauben an ihr Recht, ja ohne Selbstachtung, ganz wie jene ältere Gesellschaft, deren morsches Gebälke zusammenstürzte, als der Sohn des Zimmermanns kam.
II
Paris, 8. Juli 1843
In China sind sogar die Kutscher höflich. Wenn sie in einer engen Straße mit ihren Fuhrwerken etwas hart aneinanderstoßen und Deichseln und Räder sich verwickeln, erheben sie keineswegs ein Schimpfen und Fluchen wie die Kutscher bei uns zulande, sondern sie steigen ruhig von ihrem Sitz herunter, machen eine Anzahl Knickse und Bücklinge, sagen sich diverse Schmeicheleien, bemühen sich hernach, gemeinschaftlich ihre Wagen in das gehörige Geleise zu bringen, und wenn alles wieder in Ordnung ist, machen sie nochmals verschiedene Bücklinge und Knickse, sagen sich ein respektives Lebewohl und fahren von dannen. Aber nicht bloß unsre Kutscher, sondern auch unsre Gelehrten sollten sich hieran ein Beispiel nehmen. Wenn diese Herren miteinander in Kollision geraten, machen sie sehr wenig Komplimente und suchen sich keineswegs hülfreich zu verständigen, sondern sie fluchen und schimpfen alsdann wie die Kutscher des Okzidents. Und dieses klägliche Schauspiel gewähren uns zumeist Theologen und Philosophen, obgleich erstere auf das Dogma der Demut und Barmherzigkeit besonders angewiesen sind und letztere in der Schule der Vernunft zunächst Geduld und Gelassenheit erlernt haben sollten. Die Fehde zwischen der Universität und den Ultramontanen hat diesen Frühling bereits mit einer Flora von Grobheiten und Schmähreden bereichert, die selbst auf unsern deutschen Mistbeeten nicht kostbarer gedeihen könnte. Das wuchert, das sproßt, das blüht in unerhörter Pracht. Wir haben weder Lust noch Beruf, hier zu botanisieren. Der Duft mancher Giftblumen könnte uns betäubend zu Kopf steigen und uns verhindern, mit kühler Unparteilichkeit den Wert beider Parteien und die politische Bedeutung und Bedeutsamkeit des Kampfes zu würdigen. Sobald die Leidenschaften ein bißchen verduftet sind, wollen wir solche Würdigung versuchen. Soviel können wir schon heute sagen: das Recht ist auf beiden Seiten, und die Personen werden getrieben von der fatalsten Notwendigkeit. Der größte Teil der Katholischen, weise und gemäßigt, verdammt zwar das unzeitige Schilderheben ihrer Parteigenossen, aber diese gehorchen dem Befehl ihres Gewissens, ihrem höchsten Glaubensgesetz, dem compelle intrare, sie tun ihre Schuldigkeit, und sie verdienen aus diesem Grunde unsre Achtung. Wir kennen sie nicht, wir haben kein Urteil über ihre Person, und wir sind nicht berechtigt, an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln…
Diese Leute sind nicht eben meine Lieblinge, aber, aufrichtig gestanden, trotz ihrem düstern, blutrünstigen Zelotismus sind sie mir lieber als die toleranten Amphibien des Glaubens und des Wissens, als jene Kunstgläubigen, die ihre erschlafften Seelen durch fromme Musik und Heiligenbilder kitzeln lassen, und gar als jene Religionsdilettanten, die für die Kirche schwärmen, ohne ihren Dogmen einen strengen Gehorsam zu widmen, die mit den heiligen Symbolen nur liebäugeln, aber keine ernsthafte Ehe eingehen wollen und die man hier catholiques marrons nennt. Letztere füllen jetzt unsre fashionablen Kirchen, z.B. Sainte-Madeleine oder Notre-Dame de Lorette, jene heiligen Boudoirs, wo der süßlichste Rokokogeschmack herrscht, ein Weihkessel, der nach Lavendel düftet, reichgepolsterte Betstühle, rosige Beleuchtung und schmachtende Gesänge, überall Blumen und tändelnde Engel, kokette Andacht, die sich fächert mit éventails von Boncher und Watteau – Pompadourchristentum.
Ebenso unrecht wie unrichtig ist die Benennung Jesuiten, womit man hier die Gegner der Universität zu bezeichnen pflegt. Erstens gibt es gar keine Jesuiten mehr in dem Sinne, den man mit jenem Namen verknüpft. Aber wie es oben in der Diplomatie Leute gibt, die jedesmal, wenn die Flutzeit der Revolution eintritt, das gleichzeitige Heranbranden so vieler brausenden Wellen für das Werk eines Comité directeur in Paris erklären, so gibt es
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