Sämtliche Werke
Männer, solche Wohltäter des Menschengeschlechts, in Frankreich darben müssen?« – »Freilich«, erwiderte mein Freund, sarkastisch lächelnd, »das macht dem gepriesenen Lande der Intelligenz keine sonderliche Ehre, und das würde gewiß nicht bei uns in Deutschland passieren: die Regierung würde bei uns die Leute von solchen Grundsätzen gleich unter ihre besondere Obhut nehmen und ihnen lebenslänglich freie Kost und Wohnung geben.«
Ja, Armut ist das Los der großen Menschheitshelfer, der heilenden Denker in Frankreich, aber diese Armut ist bei ihnen nicht bloß ein Antrieb zu tieferer Forschung und ein stärkendes Stahlbad der Geisteskräfte, sondern sie ist auch eine empfehlende Annonce für ihre Lehre und in dieser Beziehung gleichfalls von providentieller Bedeutsamkeit. In Deutschland wird der Mangel an irdischen Gütern sehr gemütlich entschuldigt, und besonders das Genie darf bei uns darben und verhungern, ohne eben verachtet zu werden. In England ist man schon minder tolerant, das Verdienst eines Mannes wird dort nur nach seinem Einkommen abgeschätzt, und »How much is he worth?« heißt buchstäblich: »Wieviel Geld besitzt er, wieviel verdient er?« Ich habe mit eigenen Ohren angehört, wie in Florenz ein dicker Engländer ganz ernsthaft einen Franziskanermönch fragte, wieviel es ihm jährlich einbringe, daß er so barfüßig und mit einem dicken Strick um den Leib herumgehe. In Frankreich ist es anders, und wie gewaltig auch die Gewinnsucht des Industrialismus um sich greift, so ist doch die Armut bei ausgezeichneten Personen ein wahrer Ehrentitel, und ich möchte schier behaupten daß der Reichtum, einen unehrlichen Verdacht begründend, gewissermaßen mit einem geheimen Makel, mit einer levis nota, die sonst vortrefflichsten Leute behafte. Das mag wohl daher entstehen, weil man bei so vielen die unsaubern Quellen kennt, woraus die großen Reichtümer geflossen. Ein Dichter sagte, daß der erste König ein glücklicher Soldat war! – in betreff der Stifter unsrer heutigen Finanzdynastien dürfen wir vielleicht das prosaische Wort aussprechen, daß der erste Bankier ein glücklicher Spitzbube gewesen. Der Kultus des Reichtums ist zwar in Frankreich so allgemein wie in andern Ländern, aber es ist ein Kultus ohne heiligen Respekt: die Franzosen tanzen ebenfalls um das Goldene Kalb, aber ihr Tanzen ist zugleich Spott, Persiflage, Selbstverhöhnung, eine Art Cancan. Es ist dieses eine merkwürdige Erscheinung, erklärbar teils aus der generösen Natur der Franzosen, teils auch aus ihrer Geschichte. Unter dem alten Regime galt nur die Geburt, nur die Ahnenzahl gab Ansehen, und die Ehre war eine Frucht des Stammbaums. Unter der Republik gelangte die Tugend zur Herrschaft, die Armut ward eine Würde, und wie vor Angst, so auch vor Scham, verkroch sich das Geld. Aus jener Periode stammen die vielen dicken Soustücke, die ernsthaften Kupfermünzen mit den Symbolen der Freiheit, sowie auch die Traditionen von pekuniärer Uneigennützigkeit, die wir noch heutigentages bei den höchsten Staatsverwaltern Frankreichs antreffen. Zur Zeit des Kaisertums florierte nur der militärische Ruhm, eine neue Ehre ward gestiftet, die der Ehrenlegion, deren Großmeister, der siegreiche Imperator, mit Verachtung herabschaute auf die rechnende Krämergilde, auf die Lieferanten, die Schmuggler, die Stockjobbers, die glücklichen Spitzbuben. Während der Restauration intrigierte der Reichtum gegen die Gespenster des alten Regimes, die wieder ans Ruder gekommen und deren Insolenz täglich wuchs: das beleidigte, ehrgeizige Geld wurde Demagoge, liebäugelte herablassend mit den Kurzjacken, und als die Juliussonne die Gemüter erhitzte, ward der Adelkönig Karl X. vom Throne herabgeschmissen. Der Bürgerkönig Ludwig Philipp stieg hinauf, er, der Repräsentant des Geldes, das jetzt herrscht, aber in der öffentlichen Meinung zu gleicher Zeit von der besiegten Partei der Vergangenheit und der getäuschten Partei der Zukunft frondiert wird. Ja, das adeltümliche Faubourg Saint-Germain und die proletarischen Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marceau überbieten sich in der Verhöhnung der geldstolzen Emporkömmlinge, und, wie sich von selbst versteht, die alten Republikaner mit ihrem Tugendpathos und die Bonapartisten mit pathetischen Heldentiraden stimmen ein in diesen herabwürdigenden Ton. Erwägt man diese zusammenwirkenden Grölle, so wird es begreiflich, warum dem Reichen jetzt in der öffentlichen Meinung eine fast
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