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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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der Menschheit. Es ist ewig schade, daß Shakespeare sein eminentes theatralisches Talent nicht dazu benutzt hat, denn er soll, wie ich hier zuerst lese, nicht minder großherzig gefühlt haben als der große Graf Platen, der in seinen Sonetten von Shakespeare sagt:
    Nicht Mädchenlaunen störten deinen Schlummer,
    Doch stets um Freundschaft sehn wir warm dich ringen:
    Dein Freund errettet dich aus Weiberschlingen,
    Und seine Schönheit ist dein Ruhm und Kummer.«
    Während der Marchese diese Worte mit warmem Gefühl deklamierte und der glatte Mist ihm gleichsam auf der Zunge schmolz, schnitt Hyazinth die widersprechendsten Gesichter, zugleich verdrießlich und beifällig, und endlich sprach er:
    »Herr Marchese, Sie sprechen wie ein Buch, auch die Verse gehen Ihnen wieder so leicht ab wie diese Nacht, aber ihr Inhalt will mir nicht gefallen. Als Mann fühle ich mich geschmeichelt, daß der Graf Platen uns den Vorzug gibt vor den Weibern, und als Freund von den Weibern bin ich wieder ein Gegner von solch einem Manne. So ist der Mensch! Der eine ißt gern Zwiebeln, der andere hat mehr Gefühl für warme Freundschaft, und ich, als ehrlicher Mann, muß aufrichtig gestehen, ich esse gern Zwiebeln, und eine schiefe Köchin ist mir lieber als der schönste Schönheitsfreund. Ja, ich muß gestehen, ich sehe nicht so viel Schönes am männlichen Geschlecht, daß man sich darin verlieben sollte.«
    Diese letzteren Worte sprach Hyazinth, während er sich musternd im Spiegel betrachtete, der Marchese aber ließ sich nicht stören und deklamierte weiter:
    »Der Hoffnung Schaumgebäude bricht zusammen,
    Wir mühn uns, ach! und kommen nicht zusammen;
    Mein Name klingt aus deinem Mund melodisch,
    Doch reihst du selten dies Gedicht zusammen;
    Wie Sonn’ und Mond uns stets getrennt zu halten,
    Verschworen Sitte sich und Pflicht zusammen,
    Laß Haupt an Haupt uns lehnen, denn es taugen
    Dein dunkles Haar, mein hell Gesicht zusammen!
    Doch ach! ich träume, denn du ziehst von hinnen,
    Eh’ noch das Glück uns brachte dicht zusammen!
    Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber,
    O wären’s Blumen, die man flicht zusammen!«
    »Eine komische Poesie!« – rief Hyazinth, der die Reime nachmurmelte – »Sitte sich und Pflicht zusammen, Gesicht zusammen, dicht zusammen, flicht zusammen! komische Poesie! Mein Schwager, wenn er Gedichte liest, macht oft den Spaß, daß er am Ende jeder Zeile die Wort ›von vorn‹ und ›von hinten‹ abwechselnd hinzusetzt; und ich habe nie gewußt, daß die Poesiegedichte, die dadurch entstehen, Ghaselen heißen. Ich muß einmal die Probe machen, ob das Gedicht, das der Herr Marchese deklamiert hat, nicht noch schöner wird, wenn man nach dem Wort ›zusammen‹ jedesmal, mit Abwechslung, ›von vorn‹ und ›von hinten‹ setzt; die Poesie davon wird gewiß zwanzig Prozent stärker.«
    Ohne auf dieses Geschwätz zu achten, fuhr der Marchese fort im Deklamieren von Ghaselen und Sonetten, worin der Liebende seinen Schönheitsfreund besingt, ihn preist, sich über ihn beklagt, ihn des Kaltsinns beschuldigt, Pläne schmiedet, um zu ihm zu gelangen, mit ihm äugelt, eifersüchtelt, schmächtelt, eine ganze Skala von Zärtlichkeiten durchliebelt, und zwar so warmselig, betastungssüchtig und anleckend, daß man glauben sollte, der Verfasser sei ein manntolles Mägdlein – Nur müßte es dann einigermaßen befremden, daß dieses Mägdlein beständig jammert, ihre Liebe sei gegen die »Sitte«, daß sie gegen »diese trennende Sitte« so bitter gestimmt ist wie ein Taschendieb gegen die Polizei, daß sie liebend »die Lende« des Freundes umschlingen möchte, daß sie sich über »Neider« beklagt, »die sich schlau vereinen, um uns zu hindern und getrennt zu halten«, daß sie über verletzende Kränkungen klagt von seiten des Freundes, daß sie ihm versichert, sie wolle ihn nur flüchtig erblicken, ihm beteuert: »Nicht eine Silbe soll dein Ohr erschrecken!« und endlich gesteht:
    »Mein Wunsch bei andern zeugte Widerstreben,
    Du hast ihn nicht erhört, doch abgeschlagen
    Hast du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!«
    Ich muß dem Marchese das Zeugnis erteilen, daß er diese Gedichte gut vortrug, hinlänglich dabei seufzte, ächzte und, auf dem Sofa hin und her rutschend, gleichsam mit dem Gesäße kokettierte. Hyazinth versäumte keineswegs, immer die Reime nachzuplappern, wenn er auch ungehörige Bemerkungen da zwischenschwätzte. Den Oden schenkte er die meiste Aufmerksamkeit. »Man kann bei dieser

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