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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Gespräch sagt er mir: ›Gestern nacht habe ich geträumt, Nummero 1538 wird als das Große Los herauskommen‹ – und in demselben Moment, während Madame Klotz die Kaiserstatisten vor dem Rathaus betrachtet, drückt er mir dreizehn vollwichtige Stück Louisdor in die Hand – ich meine, ich fühle sie noch jetzt –, und ehe Madame Klotz sich wieder herumdreht, sag ich: ›Gut Klötzchen!‹ und gehe weg. Und ich gehe direktement, ohne mich umzusehen, nach der Hauptkollekte und hole mir Nummero 1538 und kuvertiere sie, sobald ich nach Hause komme, und schreibe auf das Kuvert: ›Für Rechnung des Herrn Christian Hinrich Klotz.‹ Und was tut Gott? Vierzehn Tage nachher, um meine Ehrlichkeit auf die Probe zu stellen, läßt er Nummero 1538 herauskommen mit einem Gewinn von 50.000 Mark. Was tut aber Hirsch, derselbe Hirsch, der jetzt vor Ihnen steht? Dieser Hirsch zieht ein reines weißes Oberhemdchen und ein reines weißes Halstuch an und nimmt sich eine Droschke und holt sich bei der Hauptkollekte seine 50000 Mark und fährt damit nach dem Speersort – Und wie mich Klötzchen sieht, fragt er: ›Hirsch, warum bist du heut so geputzt?‹ Ich aber antworte kein Wort und setze einen großen Überraschungsbeutel mit Gold auf den Tisch und rede ganz feierlich: ›Herr Christian Hinrich Klotz! die Nummero 1538, die Sie so gütig waren bei mir zu bestellen, hat das Glück gehabt, 50000 Mark zu gewinnen, in diesem Beutel habe ich die Ehre Ihnen das Geld zu präsentieren, und ich bin so frei, mir eine Quittung auszubitten!‹ Wie Klötzchen das hört, fängt er an zu weinen, wie Madame Klotz die Geschichte hört, fängt sie an zu weinen, die rote Magd weint, der krumme Ladendiener weint, die Kinder weinen, und ich? ein Rührungsmensch, wie ich bin, konnte ich doch nicht weinen und fiel erst in Ohnmacht, und erst nachher kamen mir die Tränen aus den Augen wie ein Wasserbach, und ich weinte drei Stunden.«
    Die Stimme des kleinen Menschen bebte, als er dieses erzählte, und feierlich zog er ein schon erwähntes Päckchen aus der Tasche, wickelte davon den schon verblichenen Rosataffet und zeigte mir den Schein, worin Christian Hinrich Klotz den richtigen Empfang der 50000 Mark quittierte. »Wenn ich sterbe« – sprach Hyazinth, eine Träne im Auge –, »soll man mir diese Quittung mit ins Grab legen, und wenn ich einst dort oben, am Tage des Gerichts, Rechenschaft geben muß von meinen Taten, dann werde ich mit dieser Quittung in der Hand vor den Stuhl der Allmacht treten, und wenn mein böser Engel die bösen Handlungen, die ich auf dieser Welt begangen habe, vorgelesen und mein guter Engel auch die Liste von meinen guten Handlungen ablesen will, dann sag ich ruhig: ›Schweig! – ich will nur wissen, ist diese Quittung richtig? ist das die Handschrift von Christian Hinrich Klotz?‹ Dann kommt ein ganz kleiner Engel herangeflogen und sagt, er kenne ganz genau Klötzchens Handschrift, und er erzählt zugleich die merkwürdige Geschichte von der Ehrlichkeit, die ich mal begangen habe. Der Schöpfer der Ewigkeit aber, der Allwissende, der alles weiß, erinnert sich an diese Geschichte, und er lobt mich in Gegenwart von Sonne, Mond und Sternen und berechnet gleich im Kopf, daß, wenn meine bösen Handlungen von 50000 Mark Ehrlichkeit abgezogen werden, mir noch ein Saldo zugut kommt, und er sagt dann: ›Hirsch! ich ernenne dich zum Engel erster Klasse, und du darfst Flügel tragen mit rot und weißen Federn.‹«
Kapitel XI
    Wer ist denn der Graf Platen, den wir im vorigen Kapitel als Dichter und warmen Freund kennenlernten? Ach, lieber Leser, diese Frage las ich schon lange auf deinem Gesichte, und nur zaudernd gehe ich an die Beantwortung. Das ist ja eben das Mißgeschick deutscher Schriftsteller, daß sie jeden guten oder bösen Narrn, den sie aufs Tapet bringen, erst durch trockne Charakterschilderung und Personalbeschreibung bekannt machen müssen, damit man erstens wisse, daß er existiert, und zweitens den Ort kenne, wo die Geißel ihn trifft, ob unten oder oben, vorn oder hinten. Anders war es bei den Alten, anders ist es noch jetzt bei neueren Völkern, z.B. den Engländern und Franzosen, die ein Volksleben und daher public characters haben. Wir Deutschen aber, wir haben zwar ein ganzes närrisches Volk, aber wenig ausgezeichnete Narren, die bekannt genug wären, um sie als allgemein verständliche Charaktere in Prosa oder Versen gebrauchen zu können. Die wenigen Männer dieser Art, die wir besitzen, haben

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