Sämtliche Werke
ältesten Urkunden etwas weniges berichten, eines frühesten Priestertums, das die erste Weisheit erforschte, die ersten Götter erfand, die ersten Symbole bestimmte und die junge Menschheit –«
»Zuerst betrog«, setzte Mylady bitteren Tones hinzu, »und ich glaube, Doktor, aus dem frühesten Weltalter ist uns nichts übriggeblieben als einige triste Formeln des Betrugs. Und sie sind noch immer wirksam. Denn sehen Sie dort die stockfinsteren Gesichter? Und gar jenen Kerl, der dort auf seinen dummen Knien liegt und mit seinem aufgesperrten Maule so ultradumm aussieht?«
»Um des lieben Himmels willen!« begütigte ich leise, »was ist daran gelegen, daß dieser Kopf so wenig von der Vernunft erleuchtet ist? Was geht das uns an? Was irritiert Sie dabei? Sehen Sie doch täglich Ochsen, Kühe, Hunde, Esel, die ebenso dumm sind, ohne daß Sie durch solchen Anblick aus Ihrem Gleichmut aufgestört und zu unmutigen Äußerungen angeregt werden?«
»Ach, das ist was anderes«, fiel mir Mylady in die Rede, »diese Bestien tragen hinten Schwänze, und ich ärgre mich eben, daß ein Kerl, der ebenso bestialisch dumm ist, dennoch hinten keinen Schwanz hat.«
»Ja, das ist was andres, Mylady.«
Kapitel IX
Nach der Messe gab’s noch allerlei zu schauen und zu hören, besonders die Predigt eines großen, vierstämmigen Mönchs, dessen befehlend kühnes, altrömisches Gesicht gegen die grobe Bettelkutte gar wundersam abstach, so daß der Mann aussah wie ein Imperator der Armut. Er predigte von Himmel und Hölle und geriet zuweilen in die wütendste Begeisterung. Seine Schilderung des Himmels war ein bißchen barbarisch überladen, und es gab da viel Gold, Silber, Edelsteine, köstliche Speisen und Weine von den besten Jahrgängen; dabei machte er ein so verklärt schlürfendes Gesicht, und er schob sich vor Wonne in der Kutte hin und her, wenn er unter den Englein mit weißen Flüglein sich selber dachte als ein Englein mit weißen Flüglein. Minder ergötzlich, ja sogar sehr praktisch ernsthaft war seine Schilderung der Hölle. Hier war der Mann weit mehr in seinem Elemente. Er eiferte besonders über die Sünder, die nicht mehr so recht christlich ans alte Feuer der Hölle glauben und sogar wähnen, sie habe sich in neuerer Zeit etwas abgekühlt und werde nächstens ganz und gar erlöschen. »Und wäre auch«, rief er, »die Hölle am Erlöschen, so würde ich, ich mit meinem Atem, die letzten glimmenden Kohlen wieder anfachen, daß sie wieder auflodern sollten zu ihrer alten Flammenglut.« Hörte man nun die Stimme, die gleich dem Nordwind diese Worte hervorheulte, sah man dabei das brennende Gesicht, den roten, büffelstarken Hals und die gewaltigen Fäuste des Mannes, so hielt man jene höllische Drohung für keine Hyperbel.
»I like this man«, sagte Mylady.
»Da haben Sie recht«, antwortete ich, »auch mir gefällt er besser als mancher unserer sanften, homöopathischen Seelenärzte, die 1/10000 Vernunft in einem Eimer Moralwasser schütten und uns damit des Sonntags zur Ruhe predigen.«
»Ja, Doktor, für seine Hölle habe ich Respekt; aber zu seinem Himmel hab ich kein rechtes Vertrauen. Wie ich mich denn überhaupt in Ansehung des Himmels schon sehr früh in geheimen Zweifel verfing. Als ich noch klein war, in Dublin, lag ich oft auf dem Rücken im Gras und sah in den Himmel und dachte nach, ob wohl der Himmel wirklich so viele Herrlichkeiten enthalten mag, wie man davon rühmt. Aber, dacht ich, wie kommt’s, daß von diesen Herrlichkeiten niemals etwas herunterfällt, etwa ein brillantener Ohrring oder eine Schnur Perlen oder wenigstens ein Stückchen Ananaskuchen, und daß immer nur Hagel oder Schnee oder gewöhnlicher Regen uns von oben herabbeschert wird? Das ist nicht ganz richtig, dacht ich –«
»Warum sagen Sie das, Mylady? Warum diese Zweifel nicht lieber verschweigen? Ungläubige, die keinen Himmel glauben, sollten nicht Proselyten machen; minder tadelnswert, sogar lobenswert ist die Proselytenmacherei derjenigen Leute, die einen süperben Himmel haben und dessen Herrlichkeiten nicht selbstsüchtig allein genießen wollen und deshalb ihre Nebenmenschen einladen, dran teilzunehmen, und sich nicht eher zufriedengeben, bis diese ihre gütige Einladung angenommen.«
»Ich habe mich aber immer gewundert, Doktor, daß manche reiche Leute dieser Gattung, die wir, als Präsidenten, Vizepräsidenten oder Sekretäre von Bekehrungsgesellschaften, eifrigst bemüht sehen, etwa einen alten verschimmelten
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