Sämtliche Werke
Betteljuden himmelfähig zu machen und seine einstige Genossenschaft im Himmelreich zu erwerben, dennoch nie dran denken, ihn schon jetzt auf Erden an ihren Genüssen teilnehmen zu lassen, und ihn z.B. nie des Sommers auf ihre Landhäuser einladen, wo es gewiß Leckerbissen gibt, die dem armen Schelm ebensogut schmecken würden, als genösse er sie im Himmel selbst.«
»Das ist erklärlich, Mylady, die himmlischen Genüsse kosten sie nichts, und es ist ein doppeltes Vergnügen, wenn wir so wohlfeilerweise unsre Nebenmenschen beglücken können. Zu welchen Genüssen aber kann der Ungläubige jemanden einladen?«
»Zu nichts, Doktor, als zu einem langen, ruhigen Schlafe, der aber zuweilen für einen Unglücklichen sehr wünschenswert sein kann, besonders wenn er vorher mit zudringlichen Himmelseinladungen gar zu sehr geplagt worden.«
Dieses sprach das schöne Weib mit stechend bitteren Akzenten, und nicht ganz ohne Ernst antwortete ich ihr: »Liebe Mathilde, bei meinen Handlungen auf dieser Welt kümmert mich nicht einmal die Existenz von Himmel und Hölle, ich bin zu groß und zu stolz, als daß der Geiz nach himmlischen Belohnungen oder die Furcht vor höllischen Strafen mich leiten sollten. Ich strebe nach dem Guten, weil es schön ist und mich unwiderstehlich anzieht, und ich verabscheue das Schlechte, weil es häßlich und mir zuwider ist. Schon als Knabe, wenn ich den Plutarch las – und ich lese ihn noch jetzt alle Abend im Bette und möchte dabei manchmal aufspringen und gleich Extrapost nehmen und ein großer Mann werden –, schon damals gefiel mir die Erzählung von dem Weibe, das durch die Straßen Alexandriens schritt, in der einen Hand einen Wasserschlauch, in der andern eine brennende Fackel tragend, und den Menschen zurief, daß sie mit dem Wasser die Hölle auslöschen und mit der Fackel den Himmel in Brand stecken wolle, damit das Schlechte nicht mehr aus Furcht vor Strafe unterlassen und das Gute nicht mehr aus Begierde nach Belohnung ausgeübt werde. Alle unsre Handlungen sollen aus dem Quell einer uneigennützigen Liebe hervorsprudeln, gleichviel, ob es eine Fortdauer nach dem Tode gibt oder nicht.«
»Sie glauben also auch nicht an Unsterblichkeit.«
»Oh, Sie sind schlau, Mylady! Ich daran zweifeln? Ich, dessen Herz in die entferntesten Jahrtausende der Vergangenheit und der Zukunft immer tiefer und tiefer Wurzel schlägt, ich, der ich selbst einer der ewigsten Menschen bin, jeder Atemzug ein ewiges Leben, jeder Gedanke ein ewiger Stern – ich sollte nicht an Unsterblichkeit glauben?«
»Ich denke, Doktor, es gehört eine beträchtliche Portion Eitelkeit und Anmaßung dazu, nachdem wir schon soviel Gutes und Schönes auf dieser Erde genossen, noch obendrein vom lieben Gott die Unsterblichkeit zu verlangen! Der Mensch, der Aristokrat unter den Tieren, der sich besser dünkt als alle seine Mitgeschöpfe, möchte sich auch dieses Ewigkeitsvorrecht, am Throne des Weltkönigs, durch höfische Lob- und Preisgesänge und kniendes Bitten auswirken. – Oh, ich weiß, was dieses Zucken mit den Lippen bedeutet, unsterblicher Herr!«
Kapitel X
Signora bat uns, mit ihr nach dem Kloster zu gehn, worin das wundertätige Kreuz, das Merkwürdigste in ganz Toskana, bewahrt wird. Und es war gut, daß wir den Dom verließen, denn Myladys Tollheiten würden uns doch zuletzt in Verlegenheiten gestürzt haben. Sie sprudelte von witziger Laune; lauter lieblich närrische Gedanken, so übermütig wie junge Kätzchen, die in der Maisonne herumspringen. Am Ausgang des Doms tunkte sie den Zeigefinger dreimal ins Weihwasser, besprengte mich jedesmal und murmelte: »Dem Zefardeyim Kinnim«, welches nach ihrer Behauptung die arabische Formel ist, womit die Zauberinnen einen Menschen in einen Esel verwandeln.
Auf der Piazza vor dem Dome manövrierte eine Menge Militär, beinah ganz östreichisch uniformiert und nach deutschem Kommando. Wenigstens hörte ich die deutschen Worte: »Präsentiert’s Gewehr! Fuß Gewehr! Schultert’s Gewehr! Rechtsum! Halt!« Ich glaube, bei allen Italienern, wie noch bei einigen andern europäischen Völkern, wird auf deutsch kommandiert. Sollen wir Deutschen uns etwas darauf zugute tun? Haben wir in der Welt so viel zu befehlen, daß das Deutsche sogar die Sprache des Befehlens geworden? Oder wird uns so viel befohlen, daß der Gehorsam am besten die deutsche Sprache versteht?
Mylady scheint von Paraden und Revuen keine Freundin zu sein. Sie zog uns mit ironischer Furchtsamkeit von
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