Sämtliche Werke
Sieben Jahre leben sie glücklich; aber einst, in der Abwesenheit des Gemahls, kramt die Frau in verborgenen Schränken und Truhen und findet dort ihr altes Federgewand; geschwind schlüpft sie hinein und fliegt davon.
In den altdänischen Liedern ist von einem solchen Federgewand sehr oft die Rede, aber dunkel und in höchst befremdlicher Art. Hier finden wir Spuren von dem ältesten Zauberwesen. Hier sind Töne von nordischem Heidentum, die, wie halbvergessene Träume, in unserem Gedächtnisse einen wunderbaren Anklang finden. Ich kann nicht umhin, ein altes Lied mitzuteilen, worin nicht bloß von der Federhaut gesprochen wird, sondern auch von den Nachtraben, die ein Seitenstück zu den Schwanenjungfrauen bilden. Dieses Lied ist so schauerlich, so grauenhaft, so düster wie eine skandinavische Nacht, und doch glüht darin eine Liebe, die an wilder Süße und brennender Innigkeit nicht ihresgleichen hat, eine Liebe, die, immer gewaltiger entlodernd, endlich wie ein Nordlicht emporschießt und mit ihren leidenschaftlichen Strahlen den ganzen Himmel überflammt. Indem ich hier dieses ungeheure Liebesgedicht mitteile, muß ich vorausbemerken, daß ich mir dabei nur metrische Veränderungen erlaube, daß ich nur am Äußerlichen, an dem Gewande, hie und da ein bißchen geschneidert. Der Refrain nach jeder Strophe ist immer: »So fliegt er über das Meer!«
Sie schifften wohl über das salzige Meer,
Der König und die Königin beide;
Daß die Königin nicht geblieben daheim,
Das ward zu großem Leide.
Das Schiff, das stand auf einmal still,
Sie konnten’s nicht weiter lenken;
Ein wilder Nachtrabe geflogen kam,
Er wollt’s in den Grund versenken.
»Ist jemand unter den Wellen versteckt
Und hält das Schiff befestigt?
Ich gebe ihm beides, Silber und Gold,
Er lasse uns unbelästigt.
So du es bist, Nachtrabe wild,
So senk uns nicht zu Grunde,
Ich gebe dir beides, Silber und Gold,
Wohl fünfzehn gewogene Pfunde.«
»Dein Gold und Silber verlang ich nicht,
Ich verlange bessere Gaben,
Was du trägst unter dem Leibgurt dein,
Das will ich von dir haben.«
»Was ich trage unter dem Leibgurt mein,
Das will ich dir gerne geben;
Das sind ja meine Schlüssel klein,
Nimm hin, und laß mir mein Leben.«
Sie zog heraus die Schlüssel klein,
Sie warf sie ihm über Borde.
Der wilde Rabe von dannen flog,
Er hielt sie freudig beim Worte.
Und als die Kön’gin nach Hause kam,
Sie ging am Strande spazieren,
Da merkt’ sie, wie German, der fröhliche Held,
Sich unter dem Leibgurt tät rühren.
Und als fünf Monde verflossen dahin,
Die Königin eilt in die Kammer,
Eines schönen Sohnes sie genas,
Das ward zu großem Jammer.
Er ward geboren in der Nacht,
Und getauft sogleich den Morgen,
Sie nannten ihn German, den fröhlichen Held,
Sie glaubten ihn schon geborgen.
Der Knabe wuchs, er wußte sich gut
Im Reiten und Fechten zu üben;
Sooft seine liebe Mutter ihn sah,
Tät sich ihr Herz betrüben.
»O Mutter, liebe Mutter mein,
Wenn ich Euch vorübergehe,
Warum so traurig werdet Ihr,
Daß ich Euch weinen sehe?«
»So wisse, German, du fröhlicher Held,
Dein Leben ist bald geendet,
Denn als ich dich unter dem Leibgurt trug,
Hab ich dich dem Raben verpfändet.«
»O Mutter, liebe Mutter mein,
O laßt Eu’r Leid nur fahren,
Was mir mein Schicksal bescheren will,
Davor kann mich niemand bewahren.«
Das war eines Donnerstags, im Herbst,
Als kaum der Morgen graute,
Die Frauenstube offenstand,
Da kamen krächzende Laute.
Der häßliche Rabe kam herein,
Setzt sich zu der Königin dorten:
»Frau Königin, gebt mir Eu’r Kind,
Ihr habt’s mir versprochen mit Worten.«
Sie aber hat beim höchsten Gott,
Bei allen Heil’gen geschworen,
Sie wüßte weder von Tochter noch Sohn,
Die sie auf Erden geboren.
Der häßliche Rabe flog zornig davon,
Und zornig schrie er im Fluge:
»Wo find ich German, den fröhlichen Held,
Er gehört mir mit gutem Fuge.«
Und German war alt schon fünfzehn Jahr,
Und ein Mädchen zu freien gedacht er;
Er schickte Boten nach Engeland,
Er warb um des Königs Tochter.
Des Königs Tochter ward ihm verlobt,
Und nach England zu reisen beschloß er:
»Wie komm ich schnell zu meiner Braut,
Rings um die Insel ist Wasser?«
Und das war German, der fröhliche Held,
In Scharlach sich kleiden tat er,
In seinem scharlachroten Kleid
Vor seine Mutter trat er.
»O Mutter, liebe Mutter mein,
Erfüllet mein Begehre
Erfüllet mein Begehre,
Und leiht mir Euer
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