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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Federgewand,
    Daß ich fliegen kann über dem Meere.«
    »Mein Federgewand in dem Winkel dort hängt,
    Die Federn, die fallen zur Erde;
    Ich denke, daß ich zur Frühjahrzeit
    Das Gefieder ausbesseren werde.
    Auch sind die Fittiche viel zu breit,
    Die Wolken drücken sie nieder –
    Und ziehst du fort in ein fremdes Land,
    Ich schaue dich niemals wieder.«
    Er setzte sich in das Federgewand,
    Flog fort wohl über das Wasser;
    Da traf er den wilden Nachtraben an,
    Auf der Klippe im Meere saß er.
    Wohl über das Wasser flog er fort,
    Inmitten des Sundes kam er;
    Da hört’ er einen erschrecklichen Laut,
    Eine häßliche Stimme vernahm er:
    »Willkommen, German, du fröhlicher Held,
    So lange erwarte ich deiner;
    Als deine Mutter dich mir versprach,
    Da warst du viel zarter und kleiner.«
    »O laß mich fliegen zu meiner Braut,
    Ich treffe (bei meinem Worte!),
    Sobald ich sie gesprochen hab,
    Dich hier auf demselben Orte.«
    »So will ich dich zeichnen, daß immerdar
    Ich dich wiedererkenne im Leben,
    Und dieses Zeichen erinnere dich
    An das Wort, das du mir gegeben.«
    Er hackte ihm aus sein rechtes Aug’,
    Trank halb ihm das Blut aus dem Herzen.
    Der Ritter kam zu seiner Braut
    Mit großen Liebesschmerzen.
    Er setzte sich in der Jungfraun Saal,
    Er war so blutig, so bleiche;
    Die kosenden Jungfraun in dem Saal,
    Sie verstummten alle sogleiche.
    Die Jungfraun ließen Freud und Scherz,
    Sie saßen still so sehre;
    Aber die stolze Jungfrau Adelutz
    Warf von sich Nadel und Schere.
    Die Jungfraun saßen still so sehr,
    Sie ließen Scherz und Freude;
    Aber die stolze Jungfrau Adelutz
    Schlug zusammen die Hände beide.
    »Willkommen, German, der fröhliche Held,
    Wo habt Ihr gespielet so mutig?
    Warum sind Eure Wangen so bleich
    Und Eure Kleider so blutig?«
    »Ade, stolze Jungfrau Adelutz,
    Muß wieder zurück zu dem Raben,
    Der mein Aug’ ausriß und mein Herzblut trank,
    Auch meinen Leib will er haben.«
    Einen goldnen Kamm zieht sie heraus,
    Selbst kämmt sie ihm seine Haare;
    Bei jedem Haare, das sie kämmt,
    Vergießt sie Tränen viel klare.
    Bei jeder Locke, die sie ihm schlingt,
    Vergießt sie Tränen viel klare;
    Sie verwünscht seine Mutter, durch deren Schuld
    Er soviel Unglück erfahre.
    Die stolze Jungfrau Adelutz
    Zog ihn in ihre Arme beide;
    »Deine böse Mutter sei verwünscht,
    Sie bracht uns zu solchem Leide.«
    »Hört, stolze Jungfrau Adelutz,
    Meine Mutter verwünschet nimmer,
    Sie konnte nicht, wie sie gewollt,
    Seinem Schicksal erliegt man immer.«
    Er setzte sich in sein Federgewand,
    Flog wieder fort so schnelle.
    Sie setzt sich in ein andres Federgewand
    Und folgt ihm auf der Stelle.
    Er flog wohl auf, er flog wohl ab
    In der weiten Wolkenhöhe;
    Sie flog beständig hinter ihm drein,
    Blieb immer in seiner Nähe.
    »Kehrt um, stolze Jungfrau Adelutz,
    Müßt wieder nach Hause fliegen;
    Eure Saaltür ließet Ihr offenstehn,
    Eure Schlüssel zur Erde liegen.«
    »Laß meine Saaltür offenstehn,
    Meine Schlüssel liegen zur Erde;
    Wo Ihr empfangen habt Eu’r Leid,
    Dahin ich Euch folgen werde.«
    Er flog wohl ab, er flog wohl auf,
    Die Wolken hingen so dichte,
    Es brach herein die Dämmerung,
    Sie verlor ihn aus dem Gesichte.
    Alle die Vögel, die sie im Fluge traf,
    Die schnitt sie da in Stücken;
    Nur dem wilden, häßlichen Raben zu nahn,
    Das wollt ihr nicht gelücken.
    Die stolze Jungfrau Adelutz,
    Herunter flog zum Strand sie;
    Sie fand nicht German, den fröhlichen Held,
    Seine rechte Hand nur fand sie.
    Da schwang sie sich wieder erzürnt empor,
    Zu treffen den wilden Raben,
    Sie flog gen Westen, gen Osten sie flog,
    Von ihr selbst den Tod sollt er haben.
    Alle die Vögel, die kamen vor ihre Scher’,
    Hat sie in Stücken zerschnitten;
    Und als sie den wilden Nachtraben traf,
    Sie schnitt ihn entzwei in der Mitten.
    Sie schnitt ihn und zerrt’ ihn, so lang’, bis sie selbst
    Des müden Todes gestorben.
    Sie hat um German, den fröhlichen Held,
    Soviel Kummer und Not erworben.
    Höchst bedeutungsvoll ist in diesem Liede nicht bloß die Erwähnung des Federgewandes, sondern das Fliegen selbst. Zur Zeit des Heidentums waren es Königinnen und edle Frauen, von welchen man sagte, daß sie in den Lüften zu fliegen verstünden, und diese Zauberkunst, die damals für etwas Ehrenwertes galt, wurde später, in christlicher Zeit, als eine Abscheulichkeit des Hexenwesens dargestellt. Der Volksglaube von den Luftfahrten der Hexen ist eine Travestie alter germanischer Traditionen und verdankt seine

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