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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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stärker und bitterer die Farben aufgetragen, er hätte etwas Berliner Blau hineingemischt oder wenigstens etwas grüne Galle, und der Grundton der Persiflage wäre verfehlt worden.
    Damit mich dieses Bild nicht noch länger festhält, wende ich mich rasch zu einem Gemälde, worauf der Name
Lessore
    zu lesen war und das durch seine wunderbare Wahrheit und durch einen Luxus von Bescheidenheit und Einfachheit jeden anzog. Man stutzte, wenn man vorbeiging. »Der kranke Bruder« ist es im Katalog verzeichnet. In einer ärmlichen Dachstube, auf einem ärmlichen Bette, liegt ein siecher Knabe und schaut mit flehenden Augen nach einem rohhölzernen Kruzifixe, das an der kahlen Wand befestigt ist. Zu seinen Füßen sitzt ein anderer Knabe, niedergeschlagenen Blicks, bekümmert und traurig. Sein kurzes Jäckchen und seine Höschen sind zwar reinlich, aber vielfältig geflickt und von ganz grobem Tuche. Die gelbe wollene Decke auf dem Bette und weniger die Möbel als vielmehr der Mangel derselben zeugen von banger Dürftigkeit. Dem Stoffe ganz anpassend ist die Behandlung. Diese er innert zumeist an die Bettlerbilder des Murillo. Scharfgeschnittene Schatten, gewaltige, feste, ernste Striche, die Farben nicht geschwinde hingefegt, sondern ruhigkühn aufgelegt, sonderbar gedämpft und dennoch nicht trübe; den Charakter der ganzen Behandlung bezeichnet Shakespeare mit den Worten: the modesty of nature. Umgeben von brillanten Gemälden mit glänzenden Prachtrahmen, mußte dieses Stück um so mehr auffallen, da der Rahmen alt und von angeschwärztem Golde war, ganz übereinstimmend mit Stoff und Behandlung des Bildes. Solchermaßen konsequent in seiner ganzen Erscheinung und kontrastierend mit seiner ganzen Umgebung, machte dieses Gemälde einen tiefen melancholischen Eindruck auf jeden Beschauer und erfüllte die Seele mit jenem unnennbaren Mitleid, das uns zuweilen ergreift, wenn wir aus dem erleuchteten Saal einer heitern Gesellschaft plötzlich hinaustreten auf die dunkle Straße und von einem zerlumpten Mitgeschöpfe angeredet werden, das über Hunger und Kälte klagt. Dieses Bild sagt viel mit wenigen Strichen, und noch viel mehr erregt es in unserer Seele.
Schnetz
    ist ein bekannterer Name. Ich erwähne ihn aber nicht mit so großem Vergnügen wie den vorhergehenden, der bis jetzt wenig in der Kunstwelt genannt worden. Vielleicht weil die Kunstfreunde schon bessere Werke von Schnetz gesehen, gewährten sie ihm viele Auszeichnung, und in Berücksichtigung derselben muß ich ihm auch in diesem Bericht einen Sperrsitz gönnen. Er malt gut, ist aber nach meinen Ansichten kein guter Maler. Sein großes Gemälde im diesjährigen Salon, italienische Landleute, die vor einem Madonnabilde um Wunderhülfe flehen, hat vortreffliche Einzelnheiten, besonders ein starrkrampfbehafteter Knabe ist vortrefflich gezeichnet, große Meisterschaft bekundet sich überall im Technischen; doch das ganze Bild ist mehr redigiert als gemalt, die Gestalten sind deklamatorisch in Szene gesetzt, und es ermangelt innerer Anschauung, Ursprünglichkeit und Einheit. Schnetz bedarf zu vieler Striche, um etwas zu sagen, und was er alsdann sagt, ist zum Teil überflüssig. Ein großer Künstler wird zuweilen ebensowohl wie ein mittelmäßiger etwas Schlechtes geben, aber niemals gibt er etwas Überflüssiges. Das hohe Streben, das große Wollen mag bei einem mittelmäßigen Künstler immerhin achtungswert sein, in seiner Erscheinung kann es jedoch sehr unerquicklich wirken. Eben die Sicherheit, womit er fliegt, gefällt uns so sehr bei dem hochfliegenden Genius; wir erfreuen uns seines hohen Flugs, je mehr wir von der gewaltigen Kraft seiner Flügel überzeugt sind, und vertrauungsvoll schwingt sich unsere Seele mit ihm hinauf in die reinste Sonnenhöhe der Kunst. Ganz anders ist uns zumute bei jenen Theatergenien, wo wir die Bindfäden erblicken, woran sie hinaufgezogen werden, so daß wir, jeden Augenblick den Sturz befürchtend, ihre Erhabenheit nur mit zitterndem Unbehagen betrachten. Ich will nicht entscheiden, ob die Bindfäden, woran Schnetz schwebt, zu dünn sind oder ob sein Genie zu schwer ist, nur soviel kann ich versichern, daß er meine Seele nicht erhoben hat, sondern herabgedrückt.
    Ähnlichkeit in den Studien und in der Wahl der Stoffe hat Schnetz mit einem Maler, der oft deshalb mit ihm zusammen genannt wird, der aber in der diesjährigen Ausstellung nicht bloß ihn, sondern auch, mit wenigen Ausnahmen, alle seine Kunstgenossen überflügelt

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