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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Gärten von Bagdad mit tiefer Liebesweisheit die sonderbarsten Blumen pflückte und zu einem Selam verband, dessen Bedeutung sie selbst gar nicht mehr wußte, als sie erwachte. Da saß sie nun des Morgens in ihrem Harem und betrachtete den nächtlichen Strauß und sann darüber nach, wie über einen vergessenen Traum, und schickte ihn endlich dem geliebten Kalifen. Der feiste Eunuch, der ihn überbrachte, ergötzte sich sehr an den hübschen Blumen, ohne ihre Bedeutung zu ahnen. Harun al Raschid aber, der Beherrscher der Gläubigen, der Nachfolger des Propheten, der Besitzer des salomonischen Rings, dieser erkannte gleich den Sinn des schönen Straußes, sein Herz jauchzte vor Freude, und er küßte jede Blume, und er lachte, daß ihm die Tränen herabliefen in den langen Bart.
    Ich bin kein Nachfolger des Propheten und besitze auch nicht den Ring Salomonis und habe auch keinen langen Bart, aber ich darf dennoch behaupten, daß ich den schönen Selam, den uns Decamps aus dem Morgenlande mitgebracht, noch immer besser verstehe als alle Eunuchen mitsamt ihrem Kislar Aga, dem großen Oberkenner, dem vermittelnden Zwischenläufer im Harem der Kunst. Das Geschwätze solcher verschnittenen Kennerschaft wird mir nachgerade unerträglich, besonders die herkömmlichen Redensarten und der wohlgemeinte gute Rat für junge Künstler und gar das leidige Verweisen auf die Natur und wieder die liebe Natur.
    In der Kunst bin ich Supernaturalist. Ich glaube, daß der Künstler nicht alle seine Typen in der Natur auffinden kann, sondern daß ihm die bedeutendsten Typen, als eingeborene Symbolik eingeborner Ideen, gleichsam in der Seele geoffenbart werden. Ein neuerer Ästhetiker, welcher »Italienische Forschungen« geschrieben, hat das alte Prinzip von der Nachahmung der Natur wieder mundgerecht zu machen gesucht, indem er behauptete, der bildende Künstler müsse alle seine Typen in der Natur finden. Dieser Ästhetiker hat, indem er solchen obersten Grundsatz für die bildenden Künste aufstellte, an eine der ursprünglichsten dieser Künste gar nicht gedacht, nämlich an die Architektur, deren Typen man jetzt in Waldlauben und Felsengrotten nachträglich hineingefabelt, die man aber gewiß dort nicht zuerst gefunden hat. Sie lagen nicht in der äußern Natur, sondern in der menschlichen Seele.
    Dem Kritiker, der im Decampsschen Bilde die Natur vermißt und die Art, wie das Pferd des Hadji-Bey die Füße wirft und wie seine Leute laufen, als unnaturgemäß tadelt, dem kann der Künstler getrost antworten, daß er ganz märchentreu gemalt und ganz nach innerer Traumanschauung. In der Tat, wenn dunkle Figuren auf hellen Grund gemalt werden, erhalten sie schon dadurch einen visionären Ausdruck, sie scheinen vom Boden abgelöst zu sein und verlangen daher vielleicht etwas umnaterieller, etwas fabelhaft luftiger behandelt zu werden. Die Mischung des Tierischen mit dem Menschlichen in den Figuren auf dem Decampsschen Bilde ist noch außerdem ein Motiv zu ungewöhnlicher Darstellung; in solcher Mischung selbst liegt jener uralte Humor, den schon die Griechen und Römer in unzähligen Mißgebilden auszusprechen wußten, wie wir mit Ergötzen sehen auf den Wänden von Herkulanum und bei den Statuen der Satyren, Zentauren usw. Gegen den Vorwurf der Karikatur schützt aber den Künstler der Einklang seines Werks, jene deliziöse Farbemnusik, die zwar komisch, aber doch harmonisch klingt, der Zauber seines Kolorits. Karikaturmaler sind selten gute Koloristen, eben jener Gemütszerrissenheit wegen, die ihre Vorliebe zur Karikatur bedingt. Die Meisterschaft des Kolorits entspringt ganz eigentlich aus dem Gemüte des Malers und ist abhängig von der Einheit seiner Gefühle. Auf Hogarths Originalgemälden in der Nationalgalerie zu London sah ich nichts als bunte Kleckse, die gegeneinander losschrien, eine Emeute von grellen Farben.
    Ich habe vergessen zu erwähnen, daß auf dem Decampsschen Bilde auch einige junge Frauenzimmer, unverschleierte Griechinnen, am Fenster sitzen und den drolligen Zug vorüberfliegen sehen. Ihre Ruhe und Schönheit bildet mit demselben einen ungemein reizenden Kontrast. Sie lächeln nicht, diese Impertinenz zu Pferde mit dem nebenherlaufenden Hundegehorsam ist ihnen ein gewohnter Anblick, und wir fühlen uns dadurch um so wahrhafter versetzt in das Vaterland des Absolutismus.
    Nur der Künstler, der zugleich Bürger eines Freistaats ist, konnte mit heiterer Laune dieses Bild malen. Ein anderer als ein Franzose hätte

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