Sämtliche Werke
Ruder kämen und ihm für den besten Dienst den schlechtesten Dank widmen würden; im günstigsten Falle schöben sie ihn sacht beiseite. Stolpernd über jene rohen Tugendklötze, könnte er leicht den Hals brechen und noch obendrein verhöhnt werden. Dergleichen hätte er aber nicht vom Bonapartismus zu befürchten, wenn er dessen Wiedereinsetzung förderte. Und leichter wäre es, in Frankreich ein Bonapartistenregiment als eine Republik wieder zu begründen.
Die Franzosen, aller republikanischen Eigenschaften bar, sind ihrer Natur nach ganz bonapartistisch. Ihnen fehlt die Einfalt, die Selbstgenügsamkeit, die innere und die äußere Ruhe; sie lieben den Krieg des Krieges wegen; selbst im Frieden ist ihr Leben eitel Kampf und Lärm; die Alten wie die Jungen ergötzen sich gern am Trommelschlag und Pulverdampf, an Knalleffekten jeder Art.
Dadurch, daß Herr Thiers ihrem angebornen Bonapartismus schmeichelte, hat er unter den Franzosen die außerordentlichste Popularität gewonnen. Oder ward er populär, weil er selber ein kleiner Napoleon ist, wie ihn jüngst ein deutscher Korrespondent nannte? Ein kleiner Napoleon! Ein kleiner gotischer Dom! Ein gotischer Dom erregt eben dadurch, unser Erstaunen, weil er so kolossal, so groß ist. Im verjüngten Maßstabe verlöre er alle Bedeutung. Herr Thiers ist gewiß mehr als so ein winziges Dömchen. Sein Geist überragt alle Intelligenzen rund um ihn her, obgleich manche darunter sind, die von bedeutender Statur. Keiner kann sich mit ihm messen, und in einem Kampfe mit ihm muß die Schlauheit selbst den kürzern ziehen. Er ist der klügste Kopf Frankreichs, obgleich er, wie man behauptet, es selbst gesteht. In seiner schnellzüngigen Weise soll er nämlich voriges Jahr, während der Ministerkrisis, zum König gesagt haben: »Ew. Majestät glauben, Sie seien der klügste Mann in diesem Lande, aber ich kenne hier jemand, der noch weit klüger ist, und das bin ich!« Der schlaue Philipp soll hierauf geantwortet haben: »Sie irren sich, Herr Thiers; wenn Sie es wären, würden Sie es nicht sagen.« – Dem sei aber, wie ihm wolle, Herr Thiers wandelt zu dieser Stunde durch die Gemächer der Tuilerien mit dem Selbstbewußtsein seiner Größe, als ein maire du palais der Orleanischen Dynastie.
Wird er lange diese Allmacht behaupten? Ist er nicht jetzt schon heimlich gebrochen, infolge ungeheurer Anstrengungen? Sein Haupt ist vor der Zeit gebleicht, man findet darauf gewiß kein einziges schwarzes Haar mehr; und je länger er herrscht, desto mehr schwindet die kecke Gesundheit seines Naturells. Die Leichtigkeit, womit er sich bewegt, hat jetzt sogar etwas Unheimliches. Aber außerordentlich und bewunderungswürdig ist sie noch immer, diese Leichtigkeit, und wie leicht und beweglich auch die andern Franzosen sind, in Vergleichung mit Thiers erscheinen sie wie lauter plumpe Deutsche.
IX
Paris, 27. Mai 1840
Über die Blutfrage von Damaskus haben norddeutsche Blätter mehre Mitteilungen geliefert, welche teils von Paris, teils von Leipzig datiert, aber wohl aus derselben Feder geflossen sind und, im Interesse einer gewissen Clique, das Urteil des deutschen Publikums irreleiten sollen. Wir lassen die Persönlichkeit und die Motive jenes Berichterstatters unbeleuchtet, enthalten uns auch aller Untersuchung der Damaszener Vorgänge: nur über das, was in Beziehung derselben von den hiesigen Juden und der hiesigen Presse gesagt wurde, erlauben wir uns einige berichtigende Bemerkungen. Aber auch bei dieser Aufgabe leitet uns mehr das Interesse der Wahrheit als der Personen; und was gar die hiesigen Juden betrifft, so ist es möglich, daß unser Zeugnis eher gegen sie als für sie spräche. – Wahrlich, wir würden die Juden von Paris eher loben als tadeln, wenn sie, wie die erwähnten norddeutschen Blätter meldeten, für ihre unglücklichen Glaubensbrüder in Damaskus einen so großen Eifer an den Tag legten und zur Ehrenrettung ihrer verleumdeten Religion keine Geldopfer scheuten. Aber es ist nicht der Fall. Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emanzipiert, als daß die Stammesbande nicht sehr gelockert wären, sie sind fast ganz untergegangen oder, besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität; sie sind gerade ebensolche Franzosen wie die andern und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die vierundzwanzig Stunden und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern! – und das gilt von den bessern. Viele unter ihnen üben noch den jüdischen
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