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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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tiefsinniger, als diejenigen ahnen, welche Hugos Vortrefflichkeit rühmen.
    Ich will hier nicht bloß darauf hindeuten, daß in seinen Romanen und Dramen die Haupthelden mit einem Höcker belastet sind, sondern daß er selbst im Geiste höckericht ist. Nach unserer modernen Identitätslehre ist es ein Naturgesetz, daß der inneren, der geistigen Signatur eines Menschen auch seine äußere, die körperliche Signatur entspricht – diese Idee trug ich noch im Kopfe, als ich nach Frankreich kam, und ich gestand einst meinem Buchhändler Eugène Renduel, welcher auch der Verleger Hugos war, daß ich, nach der Vorstellung, die ich mir von letzterem gemacht hatte, nicht wenig verwundert gewesen sei, in Herrn Hugo einen Mann zu finden, der nicht mit einem Höcker behaftet sei. ›Ja, man kann ihm seine Difformität nicht ansehen‹, bemerkte Renduel zerstreut. ›Wie‹, rief ich, ›er ist also nicht ganz frei davon?‹ – ›Nicht so ganz und gar‹, war die verlegene Antwort, und nach vielem Drängen gestand mir Freund Renduel, er habe eines Morgens Herrn Hugo in dem Momente überrascht, wo er das Hemd wechselte, und da habe er bemerkt, daß eine seiner Hüften, ich glaube die rechte, so mißwüchsig hervortretend sei, wie man es bei Leuten findet, von denen das Volk zu sagen pflegt, sie hätten einen Buckel, nur wisse man nicht, wo er sitze. Das Volk in seiner scharfsinnigen Naivetät nennt solche Leute auch verfehlte Bucklichte, falsche Buckelmenschen, so wie es die Albinos weiße Mohren nennt. Es ist bedeutsam, daß es eben der Verleger des Dichters war, dem jene Difformität nicht verborgen blieb. ›Niemand ist ein Held vor seinem Kammerdiener‹, sagt das Sprüchwort, und vor seinem Verleger, dem lauernden Kammerdiener seines Geistes, wird auch der größte Schriftsteller nicht immer als ein Heros erscheinen; sie sehen uns zu oft in unserm menschlichen Negligé. Jedenfalls ergötzte ich mich sehr an der Entdeckung Renduels, denn sie rettet die Idee meiner deutschen Philosophie, daß nämlich der Leib der sichtbare Geist ist und die geistigen Gebresten auch in der Körperlichkeit sich offenbaren. Ich muß mich ausdrücklich gegen die irrige Annahme verwahren, als ob auch das Umgekehrte der Fall sein müsse, als ob der Leib eines Menschen ebenfalls immer sein sichtbarer Geist wäre und die äußerliche Mißgestalt auch auf eine innere schließen lasse. Nein, wir haben in verkrüppelten Hüllen sehr oft die geradgewachsen schönsten Seelen gefunden, was um so erklärlicher, da die körperlichen Difformitäten gewöhnlich durch irgendein physisches Ereignis entstanden sind und nicht selten auch eine Folge von Vernachlässigung oder Krankheit nach der Geburt. Die Difformität der Seele hingegen wird mit zur Welt gebracht, und so hat der französische Poet, an welchem alles falsch ist, auch einen falschen Buckel.
    Wir erleichtern uns die Beurteilung der Werke George Sands, indem wir sagen, daß sie den bestimmten Gegensatz zu denen des Victor Hugo bilden. Jener Autor hat alles, was diesem fehlt: George Sand hat Wahrheit, Natur, Geschmack, Schönheit und Begeisterung, und alle diese Eigenschaften verbindet die strengste Harmonie. George Sands Genius hat die wohlgeründet schönsten Hüften, und alles, was sie fühlt und denkt, haucht Tiefsinn und Anmut. Ihr Stil ist eine Offenbarung von Wohllaut und Reinheit der Form. Was aber den Stoff ihrer Darstellungen betrifft, ihre Sujets, die nicht selten schlechte Sujets genannt werden dürften, so enthalte ich mich hier jeder Bemerkung, und ich überlasse dieses Thema ihren Feinden – –«
VI
    Paris, 7. Mai 1840
    Die heutigen Pariser Blätter bringen einen Bericht des k. k. österreichischen Konsuls zu Damaskus an den k. k. österreichischen Generalkonsul in Alexandria, in bezug der Damaszener Juden, deren Martyrtum an die dunkelsten Zeiten des Mittelalters erinnert. Während wir in Europa die Märchen desselben als poetischen Stoff bearbeiten und uns an jenen schauerlich naiven Sagen ergötzen, womit unsere Vorfahren sich nicht wenig ängstigten; während bei uns nur noch in Gedichten und Romanen von jenen Hexen, Werwölfen und Juden die Rede ist, die zu ihrem Satansdienst das Blut frommer Christenkinder nötig haben; während wir lachen und vergessen, fängt man an, im Morgenlande sich sehr betrübsam des alten Aberglaubens zu erinnern und gar ernsthafte Gesichter zu schneiden, Gesichter des düstersten Grimms und der verzweifelnden Todesqual! Unterdessen foltert der Henker,

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