Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Willst du euern bleichen Feinden wirklich diese Freude machen?«
Der Häuptling sah vor sich nieder und antwortete nach einer Weile: »Du hast die Wahrheit gesagt; aber die Bleichgesichter drängen von allen Seiten auf uns ein; sie überschwemmen uns, und der rote Mann ist verurteilt, eines langsamen und qualvollen Erstickungstodes zu sterben. Ist es da nicht besser für ihn, den Kampf so zu führen, daß er rascher stirbt und rascher vernichtet wird? Der Blick, welchen du mir in die Zukunft öffnest, kann mich nicht abhalten, sondern mich nur darin bestärken, das Kriegsbeil ohne Gnade und Rücksicht zu gebrauchen. Gib dir also keine Mühe; es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.«
»Daß ihr uns also am Marterpfahle sterben lassen wollt?«
»Ja. Ergibst du dich in das Schicksal, welches dir meine Worte bezeichneten?«
»Ja,« antwortete Old Shatterhand mit solcher Ruhe, daß der Rote schnell rief: »So liefert eure Waffen ab!«
»Das werden wir freilich nicht thun!«
»Aber du sagst ja, daß du dich ergeben willst!« erklang es im Tone der Verwunderung.
»Allerdings, nämlich in das Schicksal, welches uns durch deine Worte verkündet wird. Was aber hast du gesagt? Daß ihr jedes Bleichgesicht, welches in eure Hände fällt, töten werdet. Oder ist es nicht so?«
»Ja, so waren meine Worte,« nickte der Rote, darauf gespannt, was Old Shatterhand darauf vorbringen werde.
»Gut, so tötet uns, wenn wir in eure Hände gefallen sind, was aber bis jetzt noch nicht geschehen ist.«
»Uff! Glaubst du uns etwa zu entkommen?«
»Allerdings.«
»Das ist unmöglich. Weißt du, wie viele Krieger ich bei mir habe? Es sind ihrer zweihundert!«
»Bloß? Vielleicht hast du dir erzählen lassen, daß schon größere Horden sich vergeblich die Mühe gegeben haben, mich zu fangen oder festzuhalten.«
»Aber zweihundert und ihr nur vier! Es ist keine Lücke vorhanden, durch welche ihr entschlüpfen könntet!«
»So werden wir uns eine Lücke machen!«
»Ihr würdet dabei getötet werden!«
»Möglich! Aber wie viele deiner Krieger würdest du dabei einbüßen! Ich rechne auf jeden meiner Gefährten wenigstens zwanzig und ich selbst werde gewiß viel mehr als fünfzig erschießen, ehe ihr mich in eure Hände bekommt.«
Er sagte das mit einer solchen Zuversicht, daß der Rote ihn erstaunt anschaute. Dann stieß der letztere ein rauhes Lachen hervor und sagte, indem er die Hand geringschätzend auf und nieder bewegte: »Die Gedanken deines Kopfes verwirren sich. Du bist ein kühner Jäger, aber wie könntest du fünfzig Krieger erlegen?«
»Mit Leichtigkeit. Hast du noch nicht erfahren, was für Waffen ich besitze?«
»Du sollst ein Gewehr besitzen, aus welchem man immerfort schießen kann, ohne ein einziges Mal laden zu müssen; aber das ist eine Unmöglichkeit, ich glaube es nicht.«
»Soll ich es dir zeigen?«
»Ja, zeige es!« rief der Häuptling, ganz elektrisiert von dem Gedanken, dieses geheimnisvolle Gewehr, an welches sich so viele Sagen knüpften, sehen zu können.
»So werde ich es mir geben lassen und es dir bringen.«
Er stand auf und schritt zum Felsen, um den Stutzen zu holen. Wie die Verhältnisse lagen, mußte er vor allen Dingen danach trachten, die Indianer trotz ihrer Überzahl einzuschüchtern und bestürzt zu machen, und dazu war dieses Gewehr am besten geeignet. Er wußte, welche und wie viele Sagen über dasselbe unter den Roten kursierten. Sie hielten es für eine Zauberflinte, welche der »große Manitou« dem Jäger gegeben habe, um denselben unüberwindlich zu machen. Jemmy langte sie ihm von dem Felsen herab; er kehrte zu dem Häuptling zurück, hielt sie ihm hin und sagte: »Hier ist das Gewehr; nimm es, und siehe es dir an!«
Schon streckte der Rote die Hand aus; aber er zog sie wieder zurück und fragte: »Darf denn auch ein andrer als du es angreifen? Wenn es wirklich das Zaubergewehr ist, so muß es jedem, dem es nicht gehört, Gefahr bringen, sobald er es berührt.«
Diese vorteilhafte Ansicht mußte Old Shatterhand ausbeuten. Mußte er sich mit seinen Begleitern den Roten ergeben, so war er mit ihnen jedenfalls gezwungen, die Waffen alle auszuliefern. In diesem Falle kam es sehr darauf an, wenigstens dieses eine Gewehr behalten zu können. Eine direkte Lüge wollte Old Shatterhand zwar nicht sagen, aber er antwortete: »Ich darf die Geheimnisse desselben nicht mitteilen. Nimm, und versuche es selbst!«
Er hatte den Stutzen in der rechten Hand und legte bei diesen Worten den
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