Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
gewesen war. Da standen oder lagen viele kleine, sorgfältig in geharztes Leder gehüllte Fässer und längliche, ebenso gegen die Feuchtigkeit geschützte Pakete. Fritze kniete nieder, um eins der letzteren herauszulangen; es war schwer, so daß der Chirurg ihm helfen mußte. Als sie es oben hatten, zerschnitt Fritze die Riemen, mit denen es zusammengebunden war; es enthielt – Gewehre, sehr wohlerhaltene Gewehre.
»Welche Überraschung!« rief er aus. »Das sind ja Flinten! So steht zu erwarten, daß die Fässer Pulver und Blei enthalten!« Und in deutscher Sprache fortfahrend, rief er dem draußen hastig arbeitenden Privatgelehrten zu:
»Herr Doktor, kommen Sie doch mal herein! Wir haben etwas sehr Kurioses jefunden.«
»Etwas Kurioses?« fragte der Angerufene. »Der Bauchschild einer Gigantochelonia ist etwas sehr Wichtiges, sehr Interessantes, aber doch nichts Kurioses. Habt Ihr ihn?«
»Den Schild leider nicht, sondern eine janz andre Art von Armatur. Haben Sie doch die Jewogenheit, verehrter Herr Doktor, uns mit Ihren jütigen Besuche zu bejlücken!«
Morgenstern legte die Hacke weg und folgte der Aufforderung. Das war der Augenblick, in welchem Antonio Perillo sagte: »Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin!«
»Schauen Sie her!« meinte Fritze. »Es hat vor der Sündflut auch schon Pulver und Flinten jegeben. Diese Entdeckung jeht doch wohl noch über Ihre Gijantochelonia . Haben Sie schon mal mit einem Herrn jesprochen, der Flinten im Diluvium jefunden hat?«
Der kleine Gelehrte machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Sein Mund stand offen; seine Augen öffneten sich, so weit es möglich war, und seine Brauen stiegen hoch empor.
»Flinten? Flinten?« stotterte er. »Ja wahrhaftig, Flinten!
Das ist freilich ein Fall, welcher mir noch nicht vorgekommen ist, der sich aber jedenfalls erklären lassen muß. Es ist gewiß, daß es weder im Silurium oder gar vorher, noch in der nächstfolgenden Zeit Schießgewehre gegeben hat. Wenn diese Waffen sich hier unter dem Rückenschilde meiner Gigantochelonia vorfinden, so sind sie von menschlichen Individuen, welche höchst wahrscheinlich der geschichtlichen Zeit angehören, hergebracht worden. Diese Menschen haben keine zoopaläontologischen Kenntnisse gehabt, sonst hätten sie erkennen müssen, daß sie ihre nachsündflutlichen Waffen an einen vorsündflutlichen Ort brachten, dessen Bedeutung für die Verhältnisse urweltlicher –«
Er kam nicht weiter. Nahendes, starkes Pferdegetrappel brachte ihn aus der Urwelt in die Gegenwart zurück. Laute Stimmen ertönten, und als er den Kopf aus dem Loche steckte, um zu sehen, was draußen vorgehe, sah er, daß mehrere Indianer die Pferde ergriffen und andre die Waffen, welche er und seine beiden Begleiter abgelegt hatten, an sich nahmen. Zwei Weiße hielten ihm ihre Revolver entgegen, und einer von ihnen rief ihm in gebieterischem Tone zu:
»Kommen Sie mit Ihren Genossen heraus, Señor! Wir haben ein Wörtchen mit Ihnen zu reden. Aber versuchen Sie nicht etwa, sich zu wehren; das würde Ihren augenblicklichen Tod nach sich ziehen.«
»Antonio Perillo!« rief der Gelehrte aus, der den Sprechenden erkannte.
»Ja, ich bin es. Gehorchen Sie, und kommen Sie schnell, sonst zwingen Sie uns, Gewalt anzuwenden.«
»Der Gewalt bedarf es nicht. Ich habe ein gutes Gewissen und kann mich vor jedem Menschen sehen lassen.«
Er kam herausgestiegen und seine beiden Gefährten folgten ihm. Als Perillo den Chirurgen erblickte, rief er erstaunt aus:
»Der Camicero! Señor, was thun Sie denn hier in dieser Gesellschaft?«
»Ich führe die Herren nach dem Gran Chaco,« antwortete der Gefragte.
»Zu welchem Zwecke?«
»Um Tiere auszugraben.«
»Tiere? Ausgraben? Was denn für welche?«
»Vorsündflutliche Urtiere.«
»Das lassen Sie sich weiß machen? Señor Parmesan, ich habe Sie bisher als einen Menschen gekannt, der zwar seine Schrullen hat, sonst aber ungefährlich ist und ganz besonders sich niemals mit Politik befaßt. Heut aber lerne ich anders von Ihnen denken!«
»Politik? Was geht mich diese an! Ich bin Chirurg und habe vollständig genug an meiner Wissenschaft. Sie wissen ja, es ist mir keine Operation und kein Schnitt zu schwierig; ich säble alles herunter.«
»Diesmal aber scheinen Sie unter Säbel nicht Ihr Operiermesser, sondern einen wirklichen Degen zu verstehen. Sie wissen doch, daß Ihre Begleiter politisch höchst verdächtige, ja sogar gefährliche Menschen sind?«
»Gefährliche Menschen?
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