Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Waffen waren.«
»Das glaube nicht! Der Klang des Pulvers verrät dich deinem Feinde; der Pfeil aber ist verschwiegen. Du tötest mit ihm viele Feinde, bevor man erkennt, wo du dich befindest. Jetzt aber komm, o Herr, damit wir bis zum Abend ein Wasser erreichen, an welchem wir unsern Durst zu stillen vermögen!«
Sie hatten, ehe sie vor Monaten die Wildnis verließen, ihre Waffen außer den Messern hier vergraben und befanden sich nun wieder im Besitze derselben. Da sie es nicht für nötig fanden, das Loch wieder zuzufüllen, ließen sie es offen und nahmen ihre vorhin unterbrochene Wanderung wieder auf. Pferde besaßen sie nicht; sie kehrten zu Fuße in ihre ferne Heimat zurück.
Die Lagune verlassend, marschierten sie am Waldesrande hin. Sie hatten viel zu tragen, was aber auf die Schnelligkeit ihrer Schritte von gar keinem Einflusse war. Der über hundert Jahre alte Greis schritt rüstig wie ein junger, dreißigjähriger Mann neben seinem Begleiter her. Er war von diesem Anciano genannt worden, ein spanisches Wort, welches der Alte, der Hochbetagte, der Greis bedeutet. Es ist übrigens bekannt, daß man bei den Indianern der Cordilleren oft Personen findet, welche über hundert Jahre zählen.
Da, wo die beiden jetzt gingen, entfernte sich der Wald vom Flusse, so daß zwischen beiden ein ziemlich breiter Campo blieb, in dessen niedrigem Grase leicht zu gehen war. Sie suchten sich eine der erwähnten natürlichen Öffnungen im Walde, um eine andre Richtung einzuschlagen. Nach ungefähr einer Stunde gelangten sie an eine solche, welche gerade nordwärts durch den Wald zu führen schien. Sie war schmal, höchstens vierzig Schritte breit. Sie folgten ihr.
Noch aber waren sie nicht weit vorwärts gekommen, als der Inka, welcher doch schärfere Augen als der Alte hatte, diesen plötzlich am Arme faßte und ihn schnell seitwärts unter die Bäume zog.
»Was ist’s? Was gibt’s?« fragte Anciano. »Hast du etwas gesehen? Vielleicht ein Tier, welches wir schießen können, um frisches Fleisch zu erhalten?«
»Nicht nur ein Tier, sondern viele habe ich gesehen,« antwortete der Gefragte.
»Wo?«
»Gerade vor uns in der Lichtung.«
»Welcher Art?«
»Pferde, und auch Menschen waren dabei.«
»Pferde und Menschen? Wer könnte das sein? Was wollen die hier? Wie viele waren es?«
»Das kann ich nicht sagen, da ich sie nur einen Augenblick lang sah und dann mich hier verstecken mußte.«
»Das hast du klug gemacht, o Herr. Wir befinden uns hier im Gebiete der Abipones, welche unsre Todfeinde sind; da können wir nicht vorsichtig genug sein. Was thaten sie? Ritten sie vor uns her oder auf uns zu?«
»Sie ritten nicht, sondern sie lagerten.«
»Dann werde ich mich hinschleichen, um sie zu beobachten.«
»Laß mich das thun, lieber Anciano! Es ist zu gefährlich, und du bist so alt.«
»Ich bin nicht zu alt, du aber bist zu jung dazu. Und wie könnte ich dich, Herr, einer solchen Gefahr überantworten!«
»So gehen wir beide!«
»Nein. Einer genügt; aber zwei sind zu viel.«
Sie stritten sich noch eine kurze Zeit, da jeder die Gefahr auf sich nehmen wollte; aber der Alte setzte in aller Liebe seinen Willen durch und entfernte sich, nachdem er dem Jünglinge angedeutet hatte, den Ort auf keinen Fall zu verlassen. Es dauerte wohl eine halbe Stunde, bevor er zurückkehrte; dann kam er geschlichen und meldete:
»Es sind wirklich Abipones. Ich zählte fünfzig Pferde und ebensoviele Leute.«
»Woher mögen diese Menschen die Pferde haben?«
»Gestohlen natürlich.«
»Wie waren sie bewaffnet?«
»Mit Lanzen, Bogen, Pfeilen und Blasrohren.«
»So haben sie Giftpfeile bei sich und man muß sich in acht nehmen. Was thun wir? Können wir vorüber?«
»Nein. Die Öffnung des Waldes ist zu schmal.«
»So schleichen wir unter den Bäumen an ihnen vorbei.«
»Auch das geht nicht. Der Wald ist undurchdringlich. Die Schlingpflanzen bilden eine dichte Masse, durch welche man nicht gelangen kann. Schon jetzt war es mir unmöglich, wenigstens am Saume hin mich soweit anzuschleichen, daß ich die Leute sehen und genau zählen konnte.«
»So kommen wir also gar nicht weiter vorwärts?«
»Nein. Wir müssen zurück und uns eine andre Öffnung des Waldes suchen. Komm, o Herr!«
Sie gingen zurück, bis sie den Campo wieder erreichten, und schritten dann wieder in der vorigen Richtung am Walde hin. Dieser machte nach einiger Zeit einen Bogen nach Norden, den sie dadurch abschnitten, daß sie die dadurch entstehende
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