Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Titel: Saemtliche Werke von Karl May - Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
auszuführen, war bei Todesstrafe verboten. Alles Silber und Gold mußte nach der Hauptstadt geliefert und dem Könige zu Füßen gelegt werden. Da gab es Jahre, in denen sichern Angaben nach über zwölftausend Zentner Silber und über viertausend Zentner Gold in der Schatzkammer des Inka zusammenliefen, denn das edelste der Metalle wuchs in zahlreichen Adern des Gebirges und fand sich in erstaunlicher Menge im Sande der Flüsse und wurde durch billige oder gar nichts kostende Fronarbeit gewonnen.
    Anton Engelhardt war wie geblendet; Anciano und Haukaropora standen in staunender Andacht da, halb die hier befindlichen Reichtümer bewundernd und halb durchschauert von einem Gefühle ehrfurchtsvoller Pietät für die einstigen Götter und Herrscher ihres Volkes. Der Vater Jaguar war am wenigsten befangen. Die Sorge um seine Sicherheit überwog bei ihm den Eindruck dieser Schätze. Er hatte dem Alten das Licht aus der Hand genommen, um an dunkeln Stellen nach dem Sitze der schon erwähnten Gefahr zu suchen. Seine Nachforschung hatte Erfolg.
    Nämlich unten, in der Nähe des Bodens liefen an den Steinbänken schmale, thönerne Rinnen hin, welche mit einer weißgelben, wachsartigen Masse gefüllt waren; aus dieser ragten in gewisser Entfernung dochtartige Fäden hervor, welche in Gestalt von kurzen Lichtstümpfen mit derselben Masse umgeben waren.
    »Das muß das gefährliche Feuer sein,« sagte er zu Anciano, indem er auf diese Rinnen deutete, »von denen dein toter Gebieter gesprochen hat. Und diese mit Dochten versehenen Spitzen sind die Lichte, von denen wir keins anbrennen sollen, bevor wir den zweiten Kippu gelesen haben. Wo aber mag dieser Kippu sein? Wir müssen ihn suchen.«
    Sie brauchten gar nicht lange zu forschen, denn er hing gleich vorn am Eingange an der Wand. Er hatte nicht die einfache Gestalt des ersten Schnurbündels, sondern bestand aus einem sehr kunstvoll gearbeiteten Geflechte, welches als Handgriff diente, und an dessen Seiten mehrere Reihen von Schnüren fransenartig herabhingen. Diese Schnüre hatten verschiedene Farben; sie waren von verschiedener Länge und in viel hundert Knoten von verschiedener Größe geknüpft. Der Alte griff schnell zu, um dieses Kunstwerk der Schriftknüpferei zu betrachten. Er that dies eine ziemlich lange Zeit und erklärte dann:
    »Dieser Kippu ist ein sehr langer und ausführlicher Brief, den ich aber hier nicht lesen kann, weil die Farben gelitten haben und das Licht der Kerze nicht hinreichend ist.«
    »Aber draußen im Lichte der Sonne könntest du ihn lesen?« fragte der Vater Jaguar.
    »Ich denke es.«
    »So müssen wir hinaus.«
    »Schon fort von diesen Schätzen, welche wir so gern noch bewundern wollen?«
    »Ja. Ihr dürft nicht eher einen dieser Gegenstände anrühren, als bis wir den Inhalt dieses Kippu kennen. Die Gefahr, mit welcher die Hebung dieser Schätze verbunden ist, ist uns noch unbekannt. Jede falsche Bewegung, jeder falsche Griff kann uns den Tod bringen. Ich warne euch also. Wollt ihr bleiben, so bleibt; ich aber entferne mich und steige nicht eher wieder herab, als bis ich den Inhalt dieses Briefes genau kennen gelernt habe.«
    Der alte Anciano schien, geblendet von dem Golde und Silber, dennoch bleiben zu wollen; da nahm Hauka ihm den Kippu aus der Hand, untersuchte ihn, soweit es hier unten möglich war, und erklärte dann:
    »Dieser Kippu enthält das Vermächtnis meines Vaters, des ermordeten Inka. Er ist mir teurer als alles, was sich außer ihm hier befindet, und darum mag das Gold und Silber hier liegen bleiben, bis ich ihn gelesen habe. Ich gehe an das Tageslicht.«
    . Das entschied. Die vier Personen verließen den unterirdischen Raum und begaben sich durch den Stollen nach dem Eingange zurück, um in das Freie zu gelangen. Auf dem Boden des Schachtes, da, wo derselbe in den Stollen überging, lagen mehrere Talglichte, welche Haukas Vater zum jeweiligen Gebrauche da niedergelegt hatte. Anciano löschte sein halb abgebranntes Licht aus und gab es wieder mit hinzu, ehe er sich hinausschwang.
    Draußen setzten sich die vier auf die Steine, und Anciano und der junge Inka nahmen die Schnüre vor, um dieselben zu entziffern. Das ging freilich nicht so schnell wie bei dem ersten und so einfachen Kippu. Es waren der Farben und Knoten, der Nebenschnüre so viele, und die ersteren waren so verblichen, daß, wenn zwei von ihnen einander ähnlich gewesen waren, sie jetzt kaum voneinander unterschieden werden konnten. Es verging eine

Weitere Kostenlose Bücher