Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Mein Vater hat mich in allem unterrichtet, was ein Inka wissen muß, denn er glaubte, unser Reich könne wieder erstehen und ich würde –«
Er hielt inne und blickte still vor sich nieder. Seine sonst so ernsten Züge nahmen jetzt den Ausdruck tiefer Trauer an. Dann holte er tief Atem und fuhr fort:
»Er glaubte es vordem, später aber nicht mehr, wie mir Anciano jetzt erst mitgeteilt hat. Auch ich habe stets die Hoffnung gehegt, daß das Tote wieder lebendig werden könne, nun aber, seit ich dich kenne, habe ich diese Hoffnung aufgegeben.«
»Seit du mich kennst?« fragte Anton betroffen. »So meinst du, ich sei schuld daran?«
»Ja, doch ohne daß du es beabsichtigt hast. Ich kannte nur meine Berge und die Wildnis der Wälder; ich hatte immer nur von meinem Volke, nicht aber von andern Völkern gehört. Da lernte ich dich kennen, und du erzähltest mir von vielen Nationen und Reichen; ich weiß erst jetzt, wie groß die Erde ist, und wie klein dagegen ein Mensch, ein einsamer Knabe, obgleich seine Ahnen einst mächtige Sonnensöhne waren. Ich habe geträumt und bin erwacht und würde, selbst wenn ich heute alle Reichtümer der Erde da unten in der Schlucht vorfände, nie wieder in den trügerischen Traum zurückverfallen. Die Geschichte meines Volkes ist zu Ende; die Vergangenheit geht mich nichts mehr an, und ich will nun nur noch vorwärts blicken. Ich möchte lernen, was du gelernt hast; ich möchte ein Mann werden, wie diejenigen waren oder sind, von denen du mir erzähltest. Darum werde ich meine Berge verlassen und dahin gehen, wo dieser Wunsch Erfüllung findet. Der Vater Jaguar soll mir raten, und was er sagt, das werde ich thun. Das könnte ich nicht, wenn ich arm wäre; darum freut es mich, jetzt das Vermögen und das Vermächtnis meines Vaters vor mir zu haben. Hätte es nicht diesen Zweck, so würde ich alles Gold und Silber, welches meiner wartet, verachten, denn es wäre leicht möglich, daß es auch mir das brächte, was es meinen Ahnen gebracht hat, das Verderben, den Tod, den Untergang.«
Er hatte sehr langsam und in verschiedenen Absätzen gesprochen. Jetzt stand er auf und entfernte sich, als ob er in der Einsamkeit über das Gesagte weiter nachdenken wolle. Anton folgte ihm nicht; er fühlte trotz seiner Jugend, daß der Freund an einem bedeutsamen Wendepunkte stehe und seine Entschlüsse aus seinem eigenen Innern schöpfen müsse. Darum blieb er sitzen und wartete ruhig, bis er wiederkommen würde.
Als dies nach einiger Zeit geschah, hatte das Gesicht des Inka einen beinahe heiteren Ausdruck angenommen. Er reichte dem jungen, weißen Freunde die Hand und sagte:
»Du willst jetzt nach Lima und dann in das Land deiner Väter nach Deutschland hinüber, um noch mehr zu lernen. Ich weiß von dir, welch ein Land dies ist und welch ein Volk da wohnt. Würdest du mich mit hinübernehmen?«
»Gern, gar zu gern!« antwortete Anton, indem er überrascht aufsprang. »Hast du diese Worte im Ernste gesprochen?«
»Ja; aber ich will vorher mit dem Vater Jaguar und mit Anciano reden. Ohne den treuen Alten ginge ich nicht fort von hier.«
»Er geht mit; er geht mit. Er betrachtet dich als seinen Gebieter und wird thun, was du bestimmst.«
»Aber er ist so alt und versteht die Sprache deines Vaterlandes ebensowenig, wie ich sie verstehe.«
»Er ist so rüstig wie ein junger Mann, und während der langen Reise auf dem Schiffe werdet ihr von mir so viel Deutsch lernen, als ihr für die erste Zeit dort nötig habt.«
In diesem Augenblicke kam der Vater Jaguar aus der Schlucht gestiegen, und zu gleicher Zeit hörten sie das Getrabe eines Maultieres. Anciano kam um die nächste Berghalde gebogen und hielt dann vor ihnen an. Von seinem Tiere springend, sagte er:
»Ich habe sie alle gut untergebracht, und nun wollen wir hinabsteigen, um die Höhle zu öffnen.«
»Der Vater Jaguar war bereits unten, um zu versuchen, ob er sie auch ohne dich fände,« benachrichtigte ihn Hauka.
»Wirklich?« fragte der Alte, indem er sich an Hammer wandte. »Sie haben nachgeforscht? Höchst wahrscheinlich aber ohne Erfolg?«
»Bist du denn deiner Sache gar so sicher?«
»Ja, Señor.«
»Nun, so wollen wir sehen, ob ich mich irre. Ich glaube nämlich, den Eingang zum Stollen gefunden zu haben.«
»Wo?«
»Hinten im Hintergrunde der Schlucht.«
»Das können Sie leicht sagen, da Sie erfahren haben, daß sich das Versteck dort befindet.«
»Pah! Steigen wir hinab! Dann will ich euch die Stelle zeigen.«
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