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Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Saemtliche Werke von Karl May - Band 01

Titel: Saemtliche Werke von Karl May - Band 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Viertelstunde nach der andern; aus der halben wurde dann eine ganze Stunde; nachher verlief noch eine halbe, und doch waren die beiden Dechiffrierer über die Bedeutung einzelner Knoten und Schnüre noch nicht im Klaren oder miteinander einig. Der Vater Jaguar war vielleicht um elf Uhr mit seinem Trupp an der Schlucht angekommen; dann hatte es zwei Stunden gedauert, bis Anciano von dem neuen Lagerplatze zurückgekehrt war; jetzt zeigte die Uhr schon über drei am Nachmittage; darum sagte Hammer:
    »Es wird jetzt gefährlich, länger hier zu. bleiben. Kommt zufälligerweise jemand da oben am Rande der Schlucht vorüber, so sieht er uns hier unten am offenen Schachte sitzen, und unser Geheimnis ist verraten. Wir wollen also das Loch lieber verschließen und dann hinaufgehen. Dort könnt ihr eure Arbeit fortsetzen, und wir werden nicht überrascht, weil wir jede Annäherung schon von weitem bemerken müssen.«
    Man konnte nicht anders, als ihm beistimmen. Darum wurde die Haut wieder über den Eingang gebreitet und mit den vier schweren Steinen belegt und befestigt; als man sie dann mit kleinerem Gestein und Grus bedeckt hatte, war anzunehmen, daß kein Fremder, selbst wenn er hierher kommen sollte, das darunter befindliche Loch entdecken könne. Hierauf stiegen wir wieder hinauf zu ihren Maultieren, wo Hauka und der Inka sogleich ihre Arbeit fortzusetzen begannen.
    Es war, als ob ihr Scharfsinn hier oben findiger sei, als unten in der düsteren Schlucht, denn noch war keine halbe Stunde vergangen, so erklärten beide, daß sie jetzt über die Bedeutung jedes Knotens einig und im klaren seien.
    »Darf ich vielleicht den Inhalt erfahren?« fragte der Vater Jaguar.
    »Ja, Señor,« antwortete Hauka. »Es ist, wie ich schon sagte, das Vermächtnis meines Vaters, lautet aber anders, als Sie gedacht haben werden, und auch ich gedacht habe. Anciano, lies es vor!«
    Der Alte gehorchte. Er kniete aus Ehrerbietung vor dem letzten Willen seines einstigen Herrn nieder, ließ Knoten nach Knoten, Schnur nach Schnur durch die Finger gleiten und entzifferte dabei langsam und in abgerissenen Sätzen folgendes:
    »Haukaropora, meinem Schrie, dem letzten Inka. – – – Siehst du diesen Kippu, so bin ich tot. – – – Auch Völker sterben. – – – Das unserige ist tot, wie ich gestorben bin. – – –Hoffe nicht, daß es wieder aufleben wird. – – – Du wirst niemals Herrscher sein. – – – Es starb an seinem Golde und Silber. Willst du an dem deinigen sterben? – – – Wäre es arm gewesen, so lebte und wirkte es noch. Sei du arm, so wirst du leben und wirken. – – – Sei nicht reich an Metallen, sondern werde reich am Geiste und im Herzen, so wirst du glücklicher sein, als alle deine Ahnen. – – – Ich bitte dich; ich befehle dir nicht. Dieses Gold gehört dir; nimm es, oder nimm es nicht. – – – Nimmst du es, so wirst du sein Sklave; verschmähst du es, so wirst du frei. – – – Du hast den goldenen Streitkolben der Inkas. Verkaufe ihn, so hast du genug, um zu lernen und ein Mann zu werden, den Arbeit ehrt; Genuß im Nichtsthun aber schändet. – – – Willst du das Gold, so nimm es; doch hüte dich dabei vor dem Feuer in den Rinnen! – – –Willst du Ehre und wahres Glück, so gib das Metall der Erde wieder, der es geraubt worden ist; dann wirst du den wahren Reichtum erlangen. Brenne da die erste Kerze des schlafenden Feuers an und eile aus der Höhle! – – Nun wähle, aber wähle gut! Du besitzest das Blut der Herrscher; beherrsche also dich selbst; es wird dir gelingen. – – Ich bin bei dir und ich bleibe bei dir. Mach, daß meine Seele sich über dich freut. – – – Dann schaut mein Geist wonnig auf dich nieder, bis du mir folgest dahin, wo weder Gold noch Silber gilt, sondern nur die Schätze des Herzens gewogen werden. – – –Handle als mein Sohn, denn ich bin dein Vater!«
    Der alte Anciano hatte so gelesen, daß die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen immer länger geworden waren. Jetzt blickte er, auf den Knieen liegen bleibend, erwartungsvoll zu seinem jungen Herrn auf. Dasselbe that Anton, den der Inhalt des Vermächtnisses tief ergriffen hatte. Der Vater Jaguar war voller Bewunderung für die Anschauung, zu welcher sich der Tote emporgeschwungen gehabt hatte; aber seiner praktischen Natur sagte das Opfer nicht zu, welches dieser von seinem Sohne erwartete. Haukaropora stand hoch aufgerichtet da und blickte in die Sonne. Seine Ahnen hatten sie verehrt, zu ihr

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