Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
fiel zu gleicher Zeit nach dem Thore. Er erkannte Buttler und hatte trotz seiner Ueberraschung die Geistesgegenwart, die Hand schnell auf den Mund zu legen, was eine Aufforderung zum Schweigen ist.
»Ja, er ist es,« fuhr Buttler fort, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte und in den Hof ritt. »Sahst du das Zeichen, welches er mir gab? Wir dürfen ihn nicht kennen.«
Sie stiegen von ihren Pferden, ließen dieselben laufen und näherten sich den Steinen, gerade als die beiden Forners aus dem Hause kamen, um ihren Gästen Fleisch und Brot zu bringen. Sie grüßten und fragten, ob es erlaubt sei, sich mit niederzusetzen. Es wurde ihnen natürlich nicht versagt, und sie aßen und tranken mit, ohne daß man sie nach ihren Namen und sonstigen Verhältnissen oder Absichten fragte.
Die beiden Brüder, welche sich nicht kennen durften, beabsichtigten ganz selbstverständlich, sich gegen einander auszusprechen; dies mußte aber heimlich geschehen. Darum stand Grinley nach dem Essen auf und sagte, er wolle hinter das Haus gehen und sich dort im Schatten niederlegen, um ein wenig aus zuruhen. Buttler folgte ihm nach einiger Zeit so unauffällig und unbefangen wie möglich. Die andern blieben sitzen.
Und wieder kamen zwei Reiter, aber nicht jenseits des Flusses, sondern am diesseitigen Ufer entlang. Sie waren sehr gut beritten. Wären ihre Figuren andre gewesen, so hätte man sie von weitem für Old Shatterhand, den berühmten Prairiejäger, und für Winnetou, den ebenso berühmten Häuptling der Apachen, halten können. Aber sie waren beide von zu kleiner Gestalt, der eine dick und der andre schmächtig.
Der Schmächtige trug lederne ausgefranste Leggins und ein ebenso ausgefranstes ledernes Jagdhemde, dazu lange Stiefel, deren Schäfte er über die Kniee emporgezogen hatte. Auf seinem Kopfe saß ein sehr breitkrämpiger Filzhut. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte hing ein Lasso und am Halse an einer seidenen Schnur eine indianische Friedenspfeife. Quer über dem Rücken hatte er zwei Gewehre, ein langes und ein kurzes. Genau so pflegte sich Old Shatterhand zu kleiden. Auch er besaß zwei Gewehre, den gefürchteten Henrystutzen und den weitbekannten langen, schweren Bärentöter.
Während dieser kleine hagere Mann bemüht zu sein schien, ein Eben- oder Abbild von Old Shatterhand zu liefern, war der andre bemüht gewesen, Winnetou nachzuahmen. Er trug ein weißgegerbtes und mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und an den Nähten mit Haaren besetzt; ob dies aber Skalphaare waren, das ließ sich sehr bezweifeln. Die Füße steckten in mit Perlen gestickten Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Am Halse trug er auch eine Friedenspfeife und dazu ein Ledersäckchen, welches einen indianischen Medizinbeutel vorstellen sollte. Um die dicke Taille schlang sich ein breiter Gürtel, welcher aus einer Santillodecke bestand. Aus demselben schauten die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor. Sein Kopf war unbedeckt; er hatte sich die Haare lang wachsen lassen und sie in einen hohen Schopf geordnet. Quer über dem Rücken hing ihm ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holzteile mit silbernen Nägeln beschlagen waren – eine Imitation der berühmten Silberbüchse des Apachenhäuptlings Winnetou.
Wer Old Shatterhand und Winnetou kannte und hier diese beiden Männlein sah, der hätte sich sicher eines Lächelns nicht erwehren können – das glattrasierte, gutmütige und etwas naseweise Gesicht des Hageren im Vergleiche zu den durchgeistigten, gebieterischen Zügen Old Shatterhands – und die blühend roten, runden Backen, die treuherzigen Augen und freundlich lächelnden Lippen des Dicken als Konterfei des ernsten, bronzenen Gesichtes des Apachen!
Und doch waren diese beiden ganz und gar nicht Personen, über welche zu lachen man Ursache gehabt hätte. Ja, sie besaßen gewisse auffällige Eigentümlichkeiten, aber sie waren Ehrenmänner, Gentlemen durch und durch, und hatten mancher großen und seltenen Gefahr tapfer und unerschrocken in das Auge geschaut. Mit einem Worte: der Dicke war der als »Tante Droll« bekannte Westmann und der Hagere sein Freund und Vetter Hobble-Frank.
Ihre Verehrung für Old Shatterhand und Winnetou war so groß, daß sie sich wie diese beiden gekleidet hatten, was ihnen freilich ein
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