Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
nämlich ob wir den Kampf beginnen sollen. Ueber sechshundert Kugeln werden in den zusammengedrängten Haufen der Nijoras fahren. Wie viele von ihnen werden da übrig bleiben? Kein einziger.«
Mokaschi antwortete nicht sofort; er blickte finster vor sich nieder, und dann sagte er knirschend:
»Wir werden sterben; aber jeder von uns wird wenigstens einen Navajo vorher töten.«
»Das sagst du, aber du glaubst es selber nicht, denn sobald nur einer von euch sein Gewehr erhebt, schießen wir alle. Ich wiederhole jetzt die Worte, welche du vorhin zu mir gesprochen hast: hat der große Geist euer Gehirn verbrannt, daß ihr hierher gekommen seid, mit uns zu kämpfen, die wir euch doch überlegen sind? Ist euer Hirn ausgetrocknet und alle geworden, daß ihr euch in ganz dieselbe Falle locken laßt, in welche wir gehen sollten? Seid ihr blind und taub geworden, daß ihr weder gehört noch gesehen habt, daß Winnetou mit mir gestern in eurem Lager war, um euch zu belauschen? Du saßest mit den alten Kriegern an einem Felsen, der nahe am hohen Rande des Ufers liegt, und wir lagen oben auf diesem Felsen. Da haben wir alles gehört, was ihr gesprochen habt. Wißt ihr nicht, wie vorsichtig man sein muß, wenn man das Kriegsbeil ausgegraben hat?«
»Uff! uff!« rief Mokaschi betroffen aus. »Old Shatterhand und Winnetou haben auf dem Steine gelegen, an welchem wir saßen?«
»Ja. Wir hörten zu, als ihr berietet, wie ihr uns hier überfallen wolltet. Warum macht ihr euch Männer zu Feinden, von denen ihr wißt, daß sie sich vor allen Kriegern eures ganzen Stammes nicht fürchten?«
Da legte Mokaschi sein Gewehr auf die Erde nieder und sagte:
»Der große Manitou ist gegen uns gewesen; er hat nicht gewollt, daß wir siegen sollen. Old Shatterhand oder Winnetou mag her zu mir kommen, um mit mir zu kämpfen. Welcher von uns beiden den andern tötet, dessen Stamm soll als Sieger gelten.«
»Was für Worte höre ich da aus deinem Munde! Willst du ein Spottgelächter zur Antwort haben? Soll es heißen, daß Mokaschis Worte wie die Rede eines Kindes oder wie das Geplapper eines alten Weibes klingen? Glaubst du, Winnetou oder mich besiegen zu können? Hast du jemals vernommen, daß einer von uns beiden einmal einem Feinde unterlegen sei? Dein Vorschlag kann an eurem Schicksale, an eurem Untergange nichts ändern. Du würdest unbedingt besiegt und mit dir wären alle deine Krieger verloren.«
»So sterben sie mit mir!«
»Das kann ebenso gut ohne einen Zweikampf zwischen dir und mir geschehen,« antwortete Old Shatterhand auf Mokaschis Aeußerung. »Ihr seid von allen Seiten eingeschlossen. Ihr seid verloren, sobald der Kampf beginnt. Wie kannst du es da einem von uns zumuten, mit dir zu kämpfen und das Schicksal zweier Stämme von dem Ausgange dieses Kampfes abhängig zu machen! Was einmal mir gehört, brauche ich mir doch nicht erst noch zu erwerben. Der Sieg gehört uns; wozu soll ich mir ihn erst noch extra erkämpfen?«
»So willst du nicht mit mir ringen?«
»Nein, denn ich müßte dich töten, und das will ich nicht.«
»Ich werde doch ohnedies und trotzdem sterben, denn du hast selbst gesagt, daß deine erste Kugel mir gelten werde.«
»Ja, falls es zum Kampfe kommt; ich meine aber, daß es weit besser sei, ihn zu vermeiden.«
»Wie soll er vermieden werden? Etwa dadurch, daß wir uns euch auf Gnade oder Ungnade ergeben?«
»Nein, denn so ergeben sich tapfere Männer nicht, und die Nijoras sind ja tapfere Krieger. Kennst du Old Shatterhand und Winnetou so wenig, daß du uns ein solches Verlangen zutraust, dessen Erfüllung euch und allen euren Nachkommen immerwährende Schande bereiten müßte?«
Da holte Mokaschi tief und erleichtert Atem und fragte:
»Wie soll es denn sonst möglich sein, den Kampf zu vermeiden, ohne daß unsre Weiber und Kinder mit Fingern auf uns zeigen und uns verhöhnen?«
»Das wollen wir beraten. Mokaschi und Nitsas-Ini mögen hierher zu mir und Winnetou kommen. Mokaschi mag seine Waffen mitbringen, denn er hat sich noch nicht ergeben und muß als freier Mann gelten. Aber eure und unsre Krieger behalten genau ihre jetzigen Stellungen bei, bis unsre Beratung zu Ende ist.«
»Kann diese Beratung nicht hier bei mir abgehalten werden?«
»Das könnte sie wohl; aber du wirst zugeben, daß wir uns im Vorteile befinden und es also für richtiger halten, daß du zu uns kommst.«
»Als freier Mann und Krieger?«
»Ja.«
»So werde ich kommen.«
Er nahm sein Gewehr wieder von der Erde auf
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