Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
Feinde mit einem langen Blicke. Es that ihm wohl leid, auf den großen Vorteil, in welchem er sich befand, so ohne weiteres verzichten zu müssen; aber der Einfluß, welchen seine weiße Squaw nach und nach über ihn gewonnen hatte, machte sich auch jetzt geltend; er war aus einem wilden Indianer ein friedliebender und einsichtsvoller Häuptling seines Stammes geworden. Er zögerte zwar noch einige Augenblicke, erklärte dann aber doch:
»Mein Bruder Old Shatterhand mag recht behalten. Die Nijoras sollen nicht länger umzingelt sein.«
»Und du bist bereit, das Calumet mit Mokaschi zu rauchen?«
»Ja.«
Da stand Old Shatterhand auf, wendete sich gegen die Indianer und rief mit lauter Stimme:
»Die Krieger der Navajos und Nijoras mögen ihre Augen hierher richten, um zu sehen, was ihre Häuptlinge beschlossen haben.«
Er versetzte den Tabak in Brand und gab Nitsas-Ini die Pfeife. Dieser erhob sich, that sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und rief mit lauter Stimme, so daß alle Anwesenden es hören mußten:
»Die Kriegsbeile werden eingegraben; wir rauchen die Pfeife des Friedens. Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und sind dann unsre Brüder. Dieses rauche und sage ich für alle meine Krieger. Es ist so gut, als ob sie selbst es gesagt und das Calumet dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!«
Die Navajos waren höchst wahrscheinlich nicht sehr erbaut über diesen Ausgang der Verhandlung. Sie befanden sich so im Vorteile, daß es ihnen wohl schwer wurde, dasselbe so leichthin aufzugeben; aber die Disziplin verhinderte sie, widerspenstig zu sein, zumal ihnen der Gebrauch des Calumetrauchens so heilig war, daß sie es nicht gewagt hätten, an dem Beschlusse ihres Häuptlings zu rütteln.
Dieser gab die Friedenspfeife an Mokaschi, welcher sich auch erhob, die gleichen sechs Züge that und dann ebenso laut wie Nitsas-Ini verkündete:
»Hört, ihr Krieger der Navajos und Nijoras, der Tomahawk des Krieges ist wieder in die Erde versenkt. Die Männer der Navajos öffnen den Kreis, mit dem sie uns umschlossen haben, und sind dann unsre Brüder. Ich habe das mit dem Calumet bestätigt und es ist ganz so, als ob meine Krieger es gesagt und die Pfeife dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!«
Niemand war froher als die Nijoras, die einen so glücklichen Ausgang der für sie so gefährlichen Angelegenheit kaum für möglich gehalten hatten. Old Shatterhand, Winnetou und Wolf mußten als Zeugen des Vertrages auch die sechs Züge aus der Pfeife thun, brauchten aber keine Rede dazu zu halten.
Jetzt war die Sitzung beendet und die vorher so feindliche Situation verwandelte sich in eine friedliche. Die Navajos ließen die Nijoras aus ihrer Umschlingung frei, und da es hier am Flusse an Raum mangelte, so begaben sich Freund und Feind hinauf zum Lager der Nijoras, um dort das Friedensfest zu feiern und vor allen Dingen die Gefangenen zu befreien. Winnetou, Old Shatterhand und Wolf gingen auch nach oben, wo ihre Anwesenheit zunächst notwendig war; die andern Weißen aber blieben noch unten. Sie waren alle froh, daß die Feindseligkeit ein solches Ende genommen hatte.
Bald waren sie alle in lebhafter Unterhaltung über das eben Erlebte, besonders Frank und Frau Rosalie kamen in ein eifriges Zwiegespräch, an dem auch Adolf Wolf kurze Zeit teilnahm, doch bald trennte er sich wieder von den beiden, um seinen Onkel aufzusuchen, der sich oben auf dem hohen Ufer im Lager befand. Als er an die Furt kam, begegnete er den Navajos, welche ihre Pferde aus den Verstecken geholt hatten und sie auch hinaufschaffen wollten. Ihr Häuptling leitete diese Arbeit und Winnetou und Old Shatterhand standen bei ihm. Da erschien ein Reiter oben am Rande der Furt; er sah die Genannten stehen und rief herab:
»Mr. Shatterhand, gut, daß ich Euch sehe! Darf ich da hinab?«
»Mr. Rollins!« antwortete der Gefragte. »Ihr hier? Ihr solltet doch bei dem Kantor bleiben, bis ich einen Boten sende. Warum habt Ihr Euch davongemacht?«
»Werde es Euch gleich sagen. Also, darf ich hinunter zu Euch?«
»Ja.«
Er kam langsam herabgeritten, sprang dann von seinem Pferde und rief in erregtem Tone:
»Wäre ich doch nicht dort geblieben, sondern mit Euch geritten! Wenn Ihr wüßtet, was ich erlebt habe!«
»Was habt Ihr denn erlebt? Was ist geschehen? Ihr seht ja außerordentlich echauffiert aus.«
»Ist auch kein Wunder. Bin an den Baum gebunden gewesen.«
»Ihr?
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