Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
entdecken,« meinte Old Shatterhand ruhig. »Und selbst dann, wenn wir sie haben, werde ich gegen eine so unmenschliche Bestrafung sein.«
»Sollen sie etwa gar straflos ausgehen, Sir?« fragte der Beamte.
»Nein; aber wir können Justiz üben, ohne grausam zu sein.«
»Bedenkt, daß wir uns im wilden Westen befinden! Im Osten würde man die Diebe auf einige Zeit einsperren; hier aber gilt, das Gesetz der Prairie. Nach diesem wird ein Pferdedieb mit dem Tode bestraft, und ich denke, daß die gestohlenen Waffen mehr wert sind, als ein Pferd. Nicht?«
»Allerdings. Dennoch bitte ich Euch, es lieber uns zu überlassen, die Strafe zu bestimmen; sie wird groß genug, aber nicht ungerecht sein. Jetzt wollen wir nach dem Shop gehen, um die Chinesen vorzunehmen.«
Die Arbeiter waren alle noch munter. Selbst diejenigen, die sich vorher niedergelegt gehabt hatten, saßen wieder an den Tischen, um sich über das, was passiert war, zu unterhalten. Die beiden Firsthands hatten ihre vorigen Plätze eingenommen; sie fühlten sich nicht sicher und betrachteten die Eintretenden mit ängstlich forschenden Blicken. Old Shatterhand forderte sie kurz und in bestimmtem Tone auf:
»Kommt einmal mit uns herein in die andre Abteilung!«
Sie standen auf und folgten. Dabei raunte der eine dem andern zu:
» Schuet put tek! «
Dem scharfen Ohre Old Shatterhands entgingen diese Worte nicht; als er sie hörte, breitete sich ein leises befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Der Sprecher hatte sich seiner heimatlichen, also der chinesischen Sprache bedient und dabei sehr leise gesprochen; er war also vollständig davon überzeugt, nicht verstanden worden zu sein, denn selbst falls seine Worte an irgend ein Ohr gedrungen sein sollten, gab es doch hier, so weit von China entfernt und mitten in der Wildnis, gewiß keinen Menschen, welcher der chinesischen Sprache mächtig war. Er ahnte nicht, daß Old Shatterhand sich während seiner langen und weiten Reisen auch in China aufgehalten hatte, und nie ein Land besuchte, ohne vorher die Sprache desselben kennen zu lernen.
Als sie dann drin in der kleinen Abteilung vor ihm standen, ließ er seinen durchdringenden Blick scharf über sie gleiten und sagte, indem er seinen Revolver aus dem Gürtel zog und den Hahn desselben drohend knacken ließ:
»Ihr befindet euch in einem fremden Lande. Kennt ihr die Gesetze desselben?«
Sie hoben ihre Augen frech zu ihm auf, und der eine antwortete:
»Dieses Land hat sehr viele Gesetze, welche davon meint Ihr, Sir?«
»Die, welche sich auf den Diebstahl beziehen.«
»Die kennen wir.«
»So sag einmal, womit der Diebstahl bestraft wird!«
»Mit Gefängnis.«
»Ja, aber nicht hier in dieser Gegend. Wer hier im wilden Westen Waffen oder Pferde stiehlt, der wird entweder erschossen oder aufgehängt. Wißt ihr das?«
»Wir haben davon gehört; aber es geht uns nichts an, denn wir werden uns nie an einem fremden Gut vergreifen.«
»Lüge nicht!«
»Was sprecht Ihr, Sir? Ich habe nicht gelogen! Wir haben vernommen, daß Ihr ein großer und ein berühmter Mann seid; aber auch wir sind keine gewöhnlichen Leute, sondern Firsthands hier, die sich nicht beleidigen lassen!«
» Pshaw! Dein Ton soll bald ein andrer werden, Bursche! Wenn ihr aufrichtig gesteht, werden wir glimpflich mit euch verfahren; leugnet ihr aber, so habt ihr keine Nachsicht zu erwarten. Ihr habt unsre drei Gewehre gestohlen?«
Der Mann zeigte eine möglichst unbefangene Miene, schüttelte verwundert den Kopf und antwortete:
»Gewehre gestohlen? Wir? Wie kommt Ihr auf diese Idee, die uns ganz unbegreiflich ist? Sind Euch Eure Gewehre abhanden gekommen?«
Er sagte das in einem so kindlich aufrichtigen und unschuldigen Tone, daß Old Shatterhand ausholte und ihm eine solche Ohrfeige verabreichte, daß der Getroffene zwischen den Tischen hindurch bis an den fernen Schenktisch flog, wo er Mühe hatte, sich langsam aufzuraffen. Der Jäger würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern wendete sich an den andern:
»Du hast jetzt gesehen, wie ich die Lüge und die Frechheit beantwortete. Sage also die reine Wahrheit! Ihr habt unsre Gewehre gestohlen!«
»Nein!« behauptete trotzdem der Gefragte.
»Ihr seid in das Haus des Engineers eingestiegen?«
»Nein!«
»Als ihr dann die Gewehre verstecken wolltet, sind sie euch von Indianern abgenommen worden?«
»Nein!« behauptete der Chinese zum drittenmal, aber weit weniger zuversichtlich als bisher.
»Mensch, ich warne dich! Dein Kumpan hat
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